Vom Raubtier zum Langweiler
Es gibt mehr Luchse als je zuvor, die Population hat sich die letzten Jahre vergrössert. Dennoch blieb der Aufschrei in der Bevölkerung und den Medien aus; die Diskussionen und Schlagzeilen beherrschen heute Wolf und Bär.

Der Räuber schleicht sich an, mit wenigen, bis sieben Meter langen Sprüngen überrascht er seine Beute; die Krallen graben sich in Haut und Fleisch des Opfers ein, halten fest, es gibt kein Entrinnen mehr. Ein Biss in den Hals, das Leben der Beute endet. So oder ähnlich beschafft sich der Eurasische Luchs, der in der Schweiz beheimatet ist, Nahrung.
Lynx Lynx lautet der wissenschaftliche Name des Tieres. Seine Signalisation: hochbeinig mit einem bräunlich bis rötlichen Fell, oft mit schwarzen Flecken oder Rosetten. Auffallend sind die Ohrpinsel, der Backenbart und der Stummelschwanz.
Der Raubkatze scheint es im Berner Oberland zu gefallen: Zwischen Thuner- und Brienzersee über den Brünig bis nach Luzern wurden während des letzten Winters (2015/2016) 16 Luchse und deren 5 Jungtiere gezählt, ein sogenanntes Monitoring. In den Jahren 2012/2013 waren es erst 12 ausgewachsene Wildtiere mit ebenso vielen Jungen (wir berichteten). Mehr Raubtiere im Oberland heisst das im Klartext, doch der Aufschrei in Bevölkerung und Medien blieb aus. Das, obwohl die grosse Katze auch Nutztiere nicht verschmäht.
«Ein tragischer Verlust»
Walter Kunz, Einsatzleiter Wildhut im Berner Oberland, erklärt: «Es gibt immer wieder Risse, auch an Nutztieren.» Vergangenes Jahr seien Schafhalter für rund 15 gerissene Tiere entschädigt worden. Ein Riss werde vor Ort zusammen mit dem Wildhüter und dem Tierbesitzer genau analysiert. Wenn ein Grossraubtier als Täter bestimmt werden könne, werde das gerissene Tier entschädigt.
Dennoch, so Kunz, dürfe man die Fälle nicht bagatellisieren: «Für den Tierbesitzer ist jedes einzelne Tier immer ein tragischer Verlust, der schmerzt.» Die Diskussion um den Luchs in der Gesellschaft habe sich verändert, seitdem andere Grossraubtiere wie Bär oder Wolf eingewandert seien. Nun würden diese die Debatte in der Politik und den Medien beherrschen.
Abgeschnittene Pfoten
Früher sei die Situation noch anders gewesen: «Wurde irgendwo ein Luchs gesichtet, gab es durchaus Eltern, die aus Furcht ihre Kinder nicht mehr zur Schule geschickt haben.» Er erinnert sich an das Jahr 2000: Damals wurden dem Jagdinspektor abgeschnittene Luchspfoten mitsamt Morddrohungen geschickt.
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Gejagt werden darf der Luchs indes nicht: «Der Luchs hat durchaus seine Funktion in der Natur», sagt Kunz, «er steht an der Spitze der Nahrungskette.» Beim Nutzen seiner Hauptbeutetiere, Rehe und Gämsen, reisse er auch alte und kranke Tiere und sorge damit für einen gesunden Bestand. Durch seine Präsenz verteile sich auch der Wildbestand besser in seinem Lebensraum.
An gewissen Orten im Oberland ist das Thema immer noch kontrovers, der Luchs ein Feindbild. Im Gegensatz zu den Luchsrissen nimmt sich der Verkehr weit mehr Wildtiere: 3420 Tiere waren es im letzten Jahr. Wahrscheinlich waren es noch viel mehr, weil wohl eine Vielzahl dieser Unfälle nicht gemeldet wurde, wie BDP-Nationalrat Lorenz Hess als Präsident des Berner Jägerverbandes gegenüber dieser Zeitung mutmasste. Die Jäger selber erlegen jährlich rund 16'000 Wildtiere im Kanton Bern.
Mehr Luchse als geplant
Zur wachsenden Luchspopulation sagt Hess: «Die Luchsproblematik ist in jüngster Vergangenheit etwas in Vergessenheit geraten, weil alles von Wolf und Bär spricht.» Der Jägerschaft gehe es nach wie vor um die Bewirtschaftung des Luchsbestandes. «Die Luchsproblematik besteht darin, dass man in gewissen Gebieten im Berner Oberland grössere Bestände hat, als ursprünglich geplant waren.»
Hess spricht die Fachstelle Kora an und erklärt: «Der Luchs ist das bestdokumentierte und bestgezählte Wild in unserer Natur.» Aber wie schlimm ist das Problem wirklich? «Man merkt es etwa Gäms- und Rehbeständen in einigen Regionen an, dass der Luchs da ist.»
Es werde immer wieder in Abrede gestellt, dass der Luchs Einfluss auf die Population habe, doch: «Wenn ein Luchs pro Woche ein grösseres Tier, also eben eine Gämse oder ein Reh, frisst, hat das schon Einfluss.» So würden also in diesem Gebiet über das Jahr gut 50 Tiere fehlen, «das gibt schon einen Druck auf das Wild.» Ein Jäger wiederum schiesse pro Saison beispielsweise ein bis zwei Gämsen.
Die Jägerschaft wolle nicht, dass der Luchs gleich wie der Fuchs als jagdbar erklärt werde, «wir wollen nur, dass dort in den Bestand eingegriffen wird, wo es notwendig ist». Das sei beispielsweise beim ebenfalls geschützten Steinwild so, das werde auch punktuell gejagt, daran störe sich niemand.
Hess sagt, dass letzte Woche vom Regierungsrat eine Motion zur Datenerhebung des Luchsbestandes abgeschrieben worden sei: «Das heisst, dass genügend Daten dafür da sind, beim Bundesamt für Umwelt ein Gesuch einzureichen, um den Luchsbestand zu regulieren.» Das müsse nicht zwingend durch Abschüsse erfolgen, auch Umsiedlungen seien gemäss Luchskonzept möglich. «Der Regierungsrat wird das Gesuch aber wohl nicht von sich aus stellen, ich gehe davon aus, dass es zu einem späteren Zeitpunkt einen parlamentarischen Vorstoss geben wird.»
Bevölkerung hilft mit
Wildtierbiologe Florin Kunz von der Fachstelle Kora nimmt zum Luchs folgendermassen Stellung: «Früher war die Debatte um den Luchs einiges emotionaler. Heute hat man sich zumeist an den Luchs gewöhnt.» Nicht zuletzt habe aber auch die Präsenz des Wolfes den Luchs diesbezüglich etwas in den Schatten gestellt.
Das sei aber ein Prozess: «Die Wiedereinwanderung der Grossraubtiere bedingt Anpassungen unsererseits, welche zu Konflikten führen.» Durch Kooperation, transparenten Informationsfluss und das Erarbeiten von Managementstrategien werde aber deren Akzeptanz gefördert. «Grundsätzlich erfreuen sich die meisten Leute an den heimlichen Katzen, doch manch ein Jäger sieht es auch nicht gerne, wenn sich andere ebenfalls an Reh und Gams bedienen.»
Neben den Erkenntnissen aus dem Luchsmonitoring sammelt die Fachstelle auch jegliche Nachweise von Luchsen aus der breiten Bevölkerung, wie etwa Fotos, Sichtbeobachtungen oder Spuren. Mit den Hinweisen könne die Verbreitung des Luchses in der Schweiz laufend aktualisiert werden.
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