Was Leser auf Reisen erlebenVier Freunde fahren nach Indien
Eine Flucht in die Berge und 14 Pneuwechsel: Rudolf Guggisberg (73) aus Kirchlindach unternahm 1973 zusammen mit Freunden eine VW-Bus-Reise nach Indien.

Mich und meine Freunde, Romy Rubi, Theres Burri und Ueli Weibel, packte 1973, im Alter von 24 Jahren, das Fernweh. So machten wir uns am 1. April mit zwei VW-Bussen auf nach Indien. Fünf Monate sollten wir unterwegs sein und eine Strecke von 35’000 Kilometern zurücklegen. In den Monaten davor hatten wir uns intensiv mit den Vorbereitungen beschäftigt. Wir rüsteten die zwei VW-Busse zu Camping-Bussen um und schafften uns Utensilien an, um für kommende Herausforderungen wie Schnee- und Sandstürme gerüstet zu sein.
Panne auf der ersten Etappe
Wir starteten unsere Reise frühmorgens mit einer Ehrenrunde auf dem Schulhausplatz Herrenschwanden, wo wir uns von Familie und Freunden verabschiedeten. Die erste Etappe führte uns über 550 Kilometer nach Venedig. Doch schon nach der Mittagspause am Lago d’Orta hatten wir die erste Autopanne. Der Motor des blauen Busses von Romy und mir sprang nicht mehr an. Mit Anstossen gelang es uns dann, das Auto zu starten.
Im Laufe der kommenden Wochen entwickelten sich Ueli und ich zu richtigen Fachleuten für Autoreparaturen: Wir wechselten auf der ganzen Reise 14-mal die Pneus und reparierten die schadhaften Schläuche selber. Mithilfe des VW-Handbuchs sowie hilfsbereiter deutscher Touristen lernten wir, wie ein 3000-km-Service durchgeführt wird.
Im Sand stecken geblieben
Im Mai erreichten wir Teheran. Hier überraschte uns die Mitteilung, dass die Grenze nach Afghanistan zurzeit geschlossen sei. Wir nahmen unsere Batholomäus-Karten zur Hand und entschlossen uns, durch die persische Wüste direkt nach Pakistan einzureisen.
In der Wüste Richtung Sirjan wurden die Pfade immer schlechter. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 10 Stundenkilometern. Wir fuhren über das Steppengras neben dem Weg, da war es weniger holprig. Plötzlich steckten beide Busse im Sand fest. Es gab kein vor und zurück mehr, die Räder sanken immer tiefer in den Sand ein. Es ging bereits auf den Abend zu, und wir hatten seit vier Stunden kein Auto mehr gesehen.
Ermattet von den Bestrebungen, die Busse freizukriegen, schliefen wir ein. Morgens um 1.30 Uhr weckte uns ein höllischer Lärm. Ein grosser Mack-Lastwagen hielt an, und der Fahrer erkannte schnell, wo unser Problem lag. Er nahm ein Blech von seinem Lastwagen, legte es hinter den einen Bus und fuhr diesen auf den Fahrweg zurück, dann tat er dasselbe mit dem zweiten Bus. Kaum hatte der Lastwagenfahrer uns geholfen, war er auch schon wieder weggefahren – und das, ohne ein Trinkgeld zu akzeptieren.
Rückzug in die Berge
Sechs Wochen nach dem Start in Herrenschwanden erreichten wir Delhi, von wo wir über Nepal, Bangladesh quer durch Indien Richtung Pakistan weiterreisten. Die Fahrt von Peshawar nach Kabul führt über den berühmt-berüchtigten Khyber-Pass. Weil es immer dunkler wurde, fuhren wir zu einem hell erleuchteten Elektrokraftwerk, um zu fragen, wie weit es noch bis Kabul sei. Ich stieg aus dem Bus, und da stellte sich mir ein Soldat in den Weg. Er zeigte mit seinem Bajonett drohend in meine Richtung. Ich wollte wieder in den Bus zurück, doch der Soldat verhinderte das, indem er das Bajonett auf mich richtete, als wollte er gleich zustechen. Die Szene wurde von einem deutschen Techniker beobachtet. Er kam zu uns und unterhielt sich mit dem Soldaten in afghanischer Sprache. Daraufhin liess mich der Soldat wieder einsteigen, und wir konnten weiterfahren.
In Kabul angekommen, merkten wir, weshalb der Soldat dermassen nervös auf uns reagiert hatte. Genau an diesem Tag, dem 17. Juli, ist der afghanische König gestürzt worden.. Auf den Hauptstrassen standen Panzer, in der Ferne hörten wir Maschinengewehrfeuer. Wir zogen uns in Kabul in den Hinterhof eines Hotels zurück und trafen dort auf drei weitere Schweizer, die ebenfalls mit dem VW-Bus unterwegs waren.
Wir wurden zu einer Schicksalsgemeinschaft. Um den Kriegswirren zu entgehen, beschlossen wir noch in derselben Nacht, uns in die Berge, genauer in die Provinz Bamiyan mit den Band-e-Amir-Seen, zurückzuziehen. Wir kauften viel Proviant ein und fuhren um fünf Uhr morgens los. Der Besuch dieses Gebietes bleibt bis heute unvergessen. Die Landschaft bot einen einmaligen Anblick. Eine Woche später war der Spuk vorbei, und wir konnten gefahrlos weiterreisen.
In jedem Land, das wir bereisten, erfuhren wir grosse Gastfreundschaft: Ein Schuhmacher in Izmir lud uns auf das Dach seiner Schuhfabrik ein, wo er uns mit Speis und Trank überhäufte. Bei einer Familie in Kalkutta blieben wir mehrere Tage und lernten so manches über die indischen Tischsitten kennen, wo der Hausherr mit uns ass, die Frau mit den Kindern dann anschliessend und die Magd unter der Treppenwölbung. So haben wir erfahren, dass persönliche Begegnungen mit den Menschen den Gehalt einer Reise ausmachen. Wir vier treffen uns immer noch hin und wieder. Romy und ich sind seit 48 Jahren verheiratet. Vom damals Erlebten können wir bis heute zehren.
Rudolf Guggisberg, Kirchlindach
Fehler gefunden?Jetzt melden.