«Viele wurden zusätzlich politisiert»
Das #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz war ein Erfolg. 65'000 Besucher kamen. Doch was dann? Deutschland-Korrespondent Dominique Eigenmann war da.

Sie waren selbst am Konzert. Was hat die Musik bei den Besuchern ausgelöst?
Die Leute waren aufgedreht, aber ernst zugleich. Die Ereignisse und auch das Konzert hatten eine grosse Wirkung auf das Publikum. Vor allem viele junge Leute, Studierende, sind aus ganz Deutschland angereist. Viele, die noch nie zuvor in Chemnitz waren. Sie meinten: Jetzt sei der Moment zu zeigen, dass sie nicht einverstanden sind mit dem, was hier passiert. Aber den Leuten ist natürlich bewusst, dass es mit dem Konzert nicht getan ist.
Also war das Konzert umsonst?
Nein. Es war ein wichtiges Zeichen, ein Leuchtturm. Es wurde klar: Es gibt tatsächlich genug Leute, die sich öffentlich gegen Neonazis stellen. Für die Leute vor Ort ist es wichtig, das zu sehen und zu erleben.
Warum?
Weil zum Beispiel die Leute von «Chemnitz nazifrei» das ganze Jahr über allein mit den Neonazis und der rechten Gewalt sind. Sie waren dementsprechend überwältigt, dass so viele gekommen sind. Das bestärkt die Leute, sich weiter lokal zu engagieren.
Inwiefern war das Konzert nachhaltig?
Am Konzert war deutlich zu spüren, wie elektrisiert die Leute waren. Ich kann mir vorstellen, dass viele zusätzlich politisiert wurden. Zahlreiche junge Besucher sagten mir, sie seien vor allem wegen der Musik gekommen, an herkömmliche Demonstrationen würden sie nur selten gehen. Am Konzert hörten sie politische Botschaften, die, gerade weil sie mit Musik aufgeladen waren, eine viel stärkere Wirkung haben können. Das politische Statement eines Rappers wird von einem jungen Publikum anders wahrgenommen als das eines Politikers.
Trotzdem reisen die Konzertbesucher wieder ab oder haben das schon getan.
Ja. Und die Leute in Chemnitz fürchten sich davor. Sie haben Angst, dass es nach dem Konzert wieder wie vorher sein wird – dass sie allein auf dem Posten stehen. Politiker und Musiker haben deshalb bereits angekündigt, das Engagement gegen rechts verstärkt zu unterstützen, finanziell und mit weiteren Auftritten.
Sind das bloss Versprechen in der Hitze des Moments?
Das weiss man immer erst, wenn es so weit ist. Aber dieses Mal, so hat man das Gefühl, ist vielen klar geworden, dass es im Osten mehr Unterstützung für den Einsatz vor Ort braucht. Man muss Präsenz markieren, Öffentlichkeit schaffen, Geld spenden.
Am Rande des Konzerts ist es zu Scharmützeln gekommen. Wurde mit dem Konzert Öl ins Feuer gegossen?
Das kann man so nicht sagen. Aus Sicht der Rechten war es aber natürlich eine zusätzliche Provokation. Sie hatten offenbar Angst, dass die Linken die Stadt zusammenschlagen. Dennoch kann man nicht sagen, dass das Konzert die Stadt weiter gespalten hat. Es war eher eine Reaktion auf eine Spaltung, die sich in Chemnitz in der letzten Woche bereits vollzogen hatte.
Strahlt die positive Wirkung des Konzerts über Chemnitz hinaus?
Ja. Im Umkreis von 80, 100 Kilometern liegen andere Städte, die man in der Schweiz als «Tatorte» rechtsextremer Gewalt kennt: Heidenau, Freital, Clausnitz, Bautzen. In all diesen Kleinstädten gibt es Bewohner, die sich seit Jahren gegen Neonazis wehren. Das Konzert war auch eine Botschaft an sie oder, wie die Band Feine Sahne Fischfilet gestern sagte, eine Belohnung für ihren Einsatz. Und ein Ansporn:«Bleibt dran, nicht lockerlassen.»
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