Viele Berner verzichten trotz Anspruch auf Sozialhilfe
Eine Studie der Berner Fachhochschule hat erstmals Schweizer Steuerdaten mit Einkommens- und Vermögenswerten verglichen. Dabei zeigte sich, dass viele Berner, die Anspruch auf Sozialhilfe hätten, diese nicht beziehen.

Jede vierte Person, welche im Kanton Bern Anspruch auf Sozialhilfe hätte, verzichtet auf Leistungen. Zu diesem Schluss kommt ein Forscher der Berner Fachhochschule (BFH) in einer Dissertation. Dieser Verzicht kann mit fehlendem Wissen oder den komplexen Anspruchsbedingungen erklärt werden, wie die BFH am Dienstag mitteilte. Gerade für sogenannte «Working Poor» sei es schwierig einzuschätzen, ob sie Leistungen geltend machen könnten.
Die Schwelle für deren Bezug hänge bei ihnen unter anderem vom Wohnort, der Grösse des Haushalts, der Vermögenssituation und dem ohne Sozialhilfe erzielten Einkommen ab. «Working Poor» sind Leute, welche zwar erwerbstätig sind, die Existenz der Familie aber nicht selber sichern können.
In der Dissertation werden nach Angaben der BFH erstmals in der Schweiz Steuerdaten zu Einkommens- und Vermögenswerten mit der Sozialhilfestatistik verglichen.
Auf dem Land verzichten mehr Leute. . .
Soziologe Oliver Hümbelin hat bei seinen Untersuchungen erhebliche regionale Unterschiede festgestellt: Auf dem Land verzichten viel mehr Anspruchsberechtigte auf Sozialhilfe als in der Stadt. Der Anteil der Nichtbezüger auf dem Land beträgt 50 Prozent, in den Agglomerationen 28 Prozent und in der Stadt 12 Prozent.
Hümbelin erkärt dies damit, dass Bauern eine Notlage dank Selbstversorgung auch mal überbrücken können. «Eine Rolle spielt zudem die Anonymität der Städte, die den Gang zum Sozialamt erleichtern dürfte», heisst es in der Mitteilung.
. . .sowie in konservativen Gemeinden
Die Studienresultate zeigen auch auf, dass neben wirtschaftlichen Faktoren auch soziale Erwartungen und Einstellungen zum Sozialhilfebezug einen Einfluss haben. In Gemeinden, in denen linke Parteien stark sind, die sich für grosszügige Sozialhilfezahlungen einsetzen, ist der Verzicht auf Sozialhilfe tief.
Demgegenüber ist der Verzicht in Gemeinden mit starken rechts-konservativen Parteien höher. Dieser Effekt ist unabhängig von Wirtschaftsstruktur und Bevölkerungsdichte zu beobachten.
Hümbelin schliesst daraus, dass wegen dieser sozialen Erwartungen und Einstellungen eher auf den Bezug von Sozialhilfe verzichtet, wer Sozialleistungen kritisch gegenüber steht. Oder wer Stigmatisierung durch Nachbarn oder Bekannte befürchtet.
SDA/tpu
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