Berner Ausstellung über SelbstoptimierungViagra aus dem Snackautomaten
Ist es okay, Designerbabys zu produzieren? In der Ausstellung «Super» konfrontiert uns das Museum für Kommunikation mit den Möglichkeiten der Selbstoptimierung.

Ein Lamm, das in einer künstlichen Gebärmutter heranwächst, eine Mückenart, die einst Malaria ausrotten soll, und ein Sexroboter, der spricht – es ist ein wilder Ritt, auf den einen das Museum für Kommunikation (MfK) derzeit mitnimmt. «Super – die zweite Schöpfung» heisst die neue Wechselausstellung. Sie ist bunt wie ein Bonbon, aber anspruchsvoll wie eine Philosophiestunde.
Das beginnt schon beim Thema, das sich nicht in einem knackig-kurzen Titel zusammenfassen lässt wie «50 Jahre Frauenstimmrecht» (im Historischen Museum) oder «Geschlecht» (im Stapferhaus Lenzburg): «Super» dreht sich um Optimierungsmöglichkeiten und technologische Fortschritte, die heute grösser und vielfältiger sind als je zuvor. Und vor allem dreht sich «Super» um die Haltung, die wir dazu einnehmen: Bereitet uns die Vorstellung eines Designerbabys Unbehagen? Und wenn ja, warum überhaupt? «Wir wollen in der Ausstellung nicht beantworten, ob man etwas gut oder schlecht finden soll», sagt Laura Heyer. Sie ist Kommunikatorin und Teil des Marketing-Teams des MfK. «Wir wollen die Leute zum Denken anregen.»
Brillen, Prothesen und Viagra
Das gelingt. Zu Beginn der Ausstellung bewegt man sich noch auf scheinbar sicherem Terrain: Im ersten Raum stösst man auf vertraute Objekte, die der Selbstoptimierung dienen: auf Brillen, Prothesen und – beinahe zynisch – einen Snackautomaten gefüllt mit Viagra und Ritalin. Doch schon hier beginnen die Grenzen zu verschwimmen: Viagra wurde als Blutdrucksenker konzipiert, heute wird es als potenzsteigerndes Mittel eingenommen. Ritalin sollte ursprünglich gegen ADHS wirken, Studierende steigern damit ihr Konzentrationsvermögen. Eine Handprothese erlaubt es einem Drummer, schneller Schlagzeug zu spielen, als menschliche Hände es je können werden. Was finde ich okay, was nicht? Unbehagen macht sich zum ersten Mal breit. Das Gefühl wird in der Ausstellung immer wieder aufkommen, es ist Teil des Konzepts. Heyer erklärt: «Hier werden hochkomplexe Themen angeschnitten, mit denen wir alle früher oder später konfrontiert werden. Die Verunsicherung gehört dazu – sie regt zum Nachdenken an.»

Kulisse der Ausstellung bildet ein Garten, der vor Üppigkeit und Künstlichkeit strotzt: schmiedeeiserne Pergolen, Blumenhecken, leuchtende Gewächshäuser – natürlich ist das Ganze auch Sinnbild für den Clash von Natur und Technik. Und natürlich bewegen sich in diesem Garten auch Gärtnerinnen und Gärtner, die in die Natur eingreifen und sie nach ihrem Gutdünken verändern – genauer: verbessern. Sie werden dargestellt von Schauspielenden, die kurze Szenen zeigen, bisweilen auch mal eine Besucherin ansprechen. Das MfK setzt zum ersten Mal Elemente aus dem Theater in einer Ausstellung ein. «Es ist ein Experiment», sagt Heyer, «entsprechend unterschiedlich reagiert auch das Publikum.» Manche seien neugierig, andere zeigten die aus dem Theater bekannte Angst, gewissermassen auf die Bühne gezogen zu werden. Heyer beruhigt: «Es ist kein Mitmach-Theater, sondern bringt eine neue, emotionale Ebene mit in die Ausstellung – wer sich interessiert, kann zuschauen.»
Am Puls der Liebsten
Die Schau ist in thematische Sektoren aufgeteilt: Die Besuchenden treffen unter anderem auf Innovationen aus den Bereichen Fortpflanzung, Ökologie und Liebe. In Letzterem ist ein Fingerring zu sehen, auf den der Herzschlag des Partners oder der Partnerin in Echtzeit übertragen wird. Romantik oder Perversion? Einmal mehr macht sich Unbehagen breit. Neben den Innovationen wird immer wieder aufgezeigt, dass Selbstoptimierung schon längst selbstverständlich geworden ist – hormonelle Verhütung, Gemüsezüchtungen, künstliche Herzklappen: Sie alle sind ziemlich alltäglich.

Die Themenvielfalt lässt einen staunen. Sie hat aber auch eine Kehrseite: «Super» kratzt oft nur an der Oberfläche. Wie beispielsweise die Gen-Schere Crispr/CAS tatsächlich funktioniert, wird nur angetönt. Auch Hintergrundinformationen zum Thema Sterbehilfe erhalten die Besuchenden keine. Für Heyer ist klar: «Wir wollen Denkanstösse liefern. Das Ziel ist, Fragen zu stellen. Im besten Fall informieren sich die Leute nach der Ausstellung weiter.»
Das AKW auf dem Schrottplatz
Highlights sind jene Bereiche, die sich indirekt mit dem Thema Fortschritt befassen: In einer Hütte werden Aussteigerfantasien, Sehnsüchte von einem Leben abseits der Zivilisation beflügelt. Und auf einem Schrottplatz stehen zwischen alten Autoreifen ein AKW und ein Kanister mit dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Sie galten einst als Hoffnungen auf eine sorgenfreie Zukunft, heute ist umstritten, ob sie unsere Leben erleichtern oder erschweren. Man fragt sich unmittelbar, mit wie vielen anderen Innovationen es uns gleich ergehen wird.
«Super – die zweite Schöpfung» ist bis am 11.7.2021 im Museum für Kommunikation in Bern zu sehen. Informationen finden Sie auf der Website des Museums.
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