«Verheerendes Signal an die Betrüger»
Martial Saugy, Leiter des renommierten Anti-Doping-Labors in Lausanne, spricht über Kritik von Verbänden an seiner Arbeit, das Verhalten von Betrügern, über den Blutpass als Notwendigkeit und über die Olympischen Spiele in Peking.
Das Anti-Doping-Labor von Lausanne ist in einem derart hässlichen Gebäudekomplex am Stadtrand untergebracht, als wollten die Wissenschafter explizit darauf hinweisen: Entscheidend ist nicht die Hülle, sondern der Inhalt. Und der stimmt, denn das Team um Leiter Martial Saugy (53) gehört zu den führenden Anti-Doping-Kämpfern. Lausanne ist zwar nur eines von 34 Labors, mit denen die Welt-Anti-Doping-Agentur zusammenarbeitet, aber es wird stets genannt, wenn es wichtig wird: Die Proben der Fussball-EM 2008 wurden ebenso in der Romandie untersucht wie es die Nachkontrollen der Olympischen Spiele von Peking werden. Wobei offen ist, wann und auf was nachgetestet wird. Auch den Blutpass, mittels dem Spezialisten Manipulationen feststellen können, haben hauptsächlich die Lausanner vorangetrieben. Wenn Saugy, ein passionierter Läufer und Doktor der Biologie, in seinem Büro seine Arbeit reflektiert, gehen ihm die Themen nicht so schnell aus.
War 2008 ein gutes Jahr im Anti-Doping-Kampf?
Martial Saugy:2008 war wegen der Olympischen Spiele in Peking ein spezielles Jahr. Schliesslich sprach man seit langem davon und dass unglaublich viel passieren würde. Wichtig war für unser Labor auch die Fussball-EM. Wir arbeiteten seit vielen Monaten, um über griffige Programme zu verfügen.
Funktionierten sie?
Wir hatten während der EM nicht einen positiven Fall, was die Analyse erschwert. Sicher ist: Wir testeten auf alle Produkte und analysierten die Kontrollen nach neusten Methoden. In den vergangenen Jahren glaubte man, in Peking würden Gendoping und neuartige Mittel eingesetzt. Gerade in Bezug auf Gendoping aber sind sich die Experten einig, dass die Verwendung sehr unwahrscheinlich ist. Obwohl viele behaupten, man könne Gendoping praktisch in der eigenen Küche durchführen, stimmt das einfach nicht.
Ist darum der Anteil altbekannter Substanzen wie Anabolika noch immer gross?
Genau, wobei die Mittel in neueren Formen wie Designersteroide und mit einer spezifischeren Wirkung vorhanden sind. Das Spektrum hat sich für die Athleten verbreitert. Gerade darum ist es so wichtig, dass die Pharmaunternehmen mit uns zusammenarbeiten, um geeignete Tests für ihre Produkte zu entwickeln, wie das beispielsweise beim Epopräparat Cera von Roche der Fall war.
Warum verwenden die Athleten noch anabole Steroide, wenn sie relativ leicht nachzuweisen sind?
Weil es ausführliche Literatur darüber gibt, wie sie wirken und wie sie angewandt werden müssen, und weil sie effektiv sowie relativ billig sind. Der Schwarzmarkt ist so gross, diese Substanzen sind leicht erhältlich. Dazu kommt ein Aspekt, der sich am Beispiel von Testosteron gut aufzeigen lässt: Ficht ein Athlet ein positives Verdikt vor Gericht an, sind seine Chancen gut, da der Nachweis kompliziert ist, weil der Körper auch Testosteron produziert. Diese Schwierigkeiten im Anti-Doping-Kampf kennen Sportler, die betrügen wollen, genau.
Sind es «Einzeltäter» oder immer noch ganze Kreise?
In den meisten Fällen ist es ein Netzwerk, das wie bei den Radfahrern oder den Leichtathleten nicht innerhalb, sondern ausserhalb der Sportart in einer Art Paralleluniversum stattfindet. Das macht den Anti-Doping-Kampf für die Verbände so schwierig.
Haben sich die Betrüger folglich einfach dem System angepasst?
Vor der Tour de France dachte ich, dass es den Athleten auf Grund der besseren Kontrollmechanismen zu viel Kraft und psychische Substanz koste, permanent den Anti-Doping-Kämpfern auszuweichen und dass bei der neuen Generation an Sportlern ein Mentalitätswechsel stattgefunden habe. Dann wurden die ersten Cera-Fälle an der Tour publik, und ich realisierte: Sobald ein potenziell effektives Produkt auf den Markt kommt, greifen sie danach.
Das klingt unerfreulich.
Das ist es. Dabei hätte 2008 im Dopingkampf ein erfolgreiches Jahr werden können, wenn man den Blutpass komplett eingeführt hätte. Allerdings zerstritten sich die entscheidenden Parteien, womit er bis jetzt ausgeblieben ist. Aus politisch-finanziellen Gründen waren die Entscheidungsträger noch nicht bereit für einen clevereren und besser organisierten Anti-Doping-Kampf. Das war ein verheerendes Signal an die Betrüger, besagte es doch: Ihr könnt vorerst ruhig weiterdopen!
Kommt der Blutpass nächstes Jahr?
Unser Labor arbeitet hart daran, schliesslich ist es unser Ziel, den Sport im Kampf gegen Doping voranzubringen, dafür ist der Blutpass ideal. Allerdings besteht im Zusammenhang mit dem Blutpass noch immer ein Problem, auf das die Labors keinen Einfluss haben: Können Athleten ohne positive Probe gesperrt werden, wenn ihr Blutprofil abnormale Werte aufweist? Der oberste Sportgerichtshof sagte im Fall von Radfahrer Sergei Gontschar zwar Ja. Trotzdem sind die Verbände auf Grund der bescheidenen Rechtslage noch extrem vorsichtig, um Rechtsfälle zu vermeiden.
Sie haben das geeignete Mittel im Dopingkampf, können es aber nicht verwenden.
Ja, das ist natürlich ein wenig frustrierend, aber das sind wir uns gewohnt, das gehört zu unserem Beruf. Sport setzt sich aus vielen Komponenten zusammen, Doping ist ein Aspekt, also müssen wir trotz guten Ideen geduldiger sein, als wir es gerne wären.
Sagten Sie darum einst: «Wir können heute zwar unfehlbare Kontrollen durchführen, fragt sich nur, ob man diese wirklich wünscht.»
(Denkt lange nach) Ich kann Sportverbände verstehen, die mir sagen: «Wir kämpfen vehement gegen Doping, decken positive Fälle auf – und die Reaktionen sind: Ah, dieser Sport ist flächendeckend verseucht, dorthin schicken wir unsere Kinder nicht!» Hein Verbruggen (Ex-Präsident des Internationalen Radsportverbandes) beklagte sich: «Wir kontrollieren mehr als alle anderen, finden viele positive Fahrer und unser Image wird trotzdem schlechter.» Der Volleyballverband zum Beispiel testet verhältnismässig wenig und entdeckt kaum einen positiven Fall, obwohl wir fast sicher sind, dass auch dort Doping vorkommt. Nur interessiert diese Sichtweise niemanden. Andere Sportarten überführen Athleten, aber das wirkt sich nicht negativ auf ihr Image aus, weil nicht darüber geschrieben wird.
Werden Sie mitunter als Nestbeschmutzer betrachtet?
Ja, Verbandsvertreter sagten mir: «Sie zerstören unseren Sport!»
Lässt sich dieses Problem lösen?
Die Welt-Anti-Doping-Agentur muss dafür sorgen, dass jedes ihrer Mitglieder in Übereinkunft mit den Regeln handelt und alle Sportverbände im Kampf gegen Doping gleich vorgehen. Ein Kilo Äpfel wiegt in Zürich gleichviel wie in einem anderen Land. Übertragen auf den Anti-Doping-Kampf ist das nicht immer so.
Warum?
Die einheitliche Organisation der Kontrollen und die Strategie, wie getestet wird, sind verbesserungsfähig. Die Wada hat eine Gruppe eingesetzt, aber wenn sie die Mitglieder schlecht überprüft, weiss sie nicht, ob ihre Vorgaben umgesetzt werden. Zudem kämpfen wir in gewissen Ländern mit kulturellen Problemen. Ein Beispiel aus dem Fussball: Ein argentinischer Tester sagte mir, dass er nie nach Brasilien gehen würde, wenn Argentinien dort spielt, weil er nicht wüsste, was mit ihm passierte.
Sie waren eingeladen, einen Teil der Blutanalysen in Peking zu überwachen. Weshalb lehnten Sie ab?
Die Bedingungen waren nicht, wie ich sie mir gewünscht hätte. Ich hätte nicht komplett unabhängig arbeiten können. Und nur dort zu sein, um von Bildern zu lächeln, wollte ich nicht. Ich habe einen Ruf zu verteidigen.
Man könnte nun spekulieren, dass die Chinesen Sie in Ihrer Freiheit bewusst einschränkten.
Nein, der Grund waren Sicherheitsprobleme. Wobei ich mich wunderte. An den Spielen zuvor überwachte ein unabhängiges Team der Wada die Olympialabore. Die Wada entschied aber für Peking, darauf zu verzichten, ohne dass ich die Gründe kenne.
Das stärkt das Vertrauen nicht.
Das Labor in Peking muss der Wada und dem IOK noch einen Abschlussbericht abgeben. Liegt er vor, lässt sich besser beurteilen, wie gut die Chinesen arbeiteten.
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