
Ein Mann fühlt sich in seiner Heimat verfolgt. Er solle ermordet werden, behauptet er. Deshalb ersucht er um Asyl in einem Land der Europäischen Union, in Ungarn. Das ist sein gutes Recht. Sein Menschenrecht.
Wie und wo er sein Asylgesuch stellen kann, ist durch Gesetze geregelt, auf deren Einhaltung gerade die ungarische Regierung immer wieder pocht: Das Gesuch kann der Mann nur in einer von Stacheldraht umgebenen Zone an der ungarisch-serbischen Grenze stellen. Damit ihn die ungarischen Grenzwächter in die Zone lassen, muss er um einen Termin ersuchen. Derzeit beträgt die Wartezeit eineinhalb Jahre.
Nur Gesuche von Familien oder Frauen mit Kindern werden ernsthaft behandelt. Ein allein reisender Mann hat nicht die geringste Chance. Ausser, er heisst Nikola Gruevski, war Regierungschef in Mazedonien und hat gute Freunde in Ungarn. Einer dieser Freunde ist bekannt: Viktor Orban, ungarischer Ministerpräsident.
Kein legaler Weg ins Landesinnere
Seit mehreren Tagen hält sich der 2016 abgewählte Gruevski in Budapest auf, angeblich im Haus von Orban. Wie er dorthin kam, ist ungeklärt. Auf legalem Weg kann es nicht gewesen sein, denn es gibt für Asylbewerber keinen legalen Weg ins Landesinnere. Darauf ist Orban besonders stolz.
Flüchtlingshilfe gilt in Ungarn als Kapitalverbrechen und wird mit Gefängnis bestraft. Das im Ausland heftig kritisierte Gesetz wurde dieses Jahr von Orbans Partei Fidesz beschlossen. Wer in Ungarn Asylbewerbern ihre Rechte erklärt, wer ihnen Essen und Kleidung gibt, macht sich strafbar. Und natürlich auch, wer sie in die eigene Wohnung aufnimmt.
Wäre Ungarn noch ein Rechtsstaat, müsste die Justiz Ermittlungen gegen Orban wegen des Verdachts der Flüchtlingshilfe aufnehmen. Sie könnte ihn sogar in Untersuchungshaft nehmen, denn es besteht Verdunkelungsgefahr. Ex-Premier Gruevski wurde in Mazedonien wegen Korruption verurteilt, hat sich aber der Gefängnisstrafe durch Flucht entzogen. Er wird von Interpol gesucht.
Regeln gelten nicht bei Freunden
Doch selbst wenn es undenkbar scheint, dass Gruevski ohne Wissen der ungarischen Regierung in Budapest auftauchte: Kein ungarischer Staatsanwalt wird auf die Idee kommen, ein Gesetz, das auf Menschenrechtsorganisationen zielt, nun gegen den Ministerpräsidenten anzuwenden.
Schutz der Verfassung, Schutz der nationalen Souveränität – erheben rechtspopulistische Regierungen von Ungarn, Österreich, Tschechien oder Italien zur obersten Maxime. Wenn jedoch politische oder geschäftliche Freunde geschützt werden müssen, zählen weder nationale Regeln noch internationale Haftbefehle. Der Fall Gruevski entlarvt die Scheinheiligkeit der Anti-Flüchtlingskampagnen. Was kann Orban die Sicherheit Ungarns wert sein, wenn er einen verurteilten Verbrecher ins Land lässt?
Einer der übelsten Populisten des 19. Jahrhunderts, Wiens Bürgermeister Karl Lueger, hetzte gegen Juden und verkehrte gleichzeitig im Kreis des jüdischen Bürgertums. Er sah darin keinen Widerspruch, denn «wer ein Jud ist, bestimme ich». Heute wollen Orban, Salvini und Co. allein bestimmen, wer als guter Flüchtling ins Land darf und wer vor der Tür bleiben muss. Multilaterale Vereinbarungen wie der UNO-Migrationspakt sind ihnen dabei nur im Weg. Sie achten ja nicht einmal die nationalen Gesetze.
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Verdacht: Flüchtlingshilfe
Wäre Ungarn noch ein Rechtsstaat, müsste die Justiz im Fall Gruevski gegen Regierungschef Viktor Orban ermitteln.