Unterwegs im Flussschiff
An Bord der «A-Rosa» gibts keinen Dresscode. Dafür werden Velohelme verteilt, Kajaks und Jeeps bereitgestellt. Wer mitfahren will, braucht Stehvermögen für pulsierende Städte, den Besuch des Papstpalastes und Theaterspektakels, für Tanzabende zu Akkordeonweisen und für den Anschluss an Land und Leute entlang der Rhône bis zur Côte d'Azur.
Jean Michel telefoniert beim Fahren, die Sprachfetzen unter-malen den Trip durch die Camargue. Und zur Erheiterung trägt der zuhinterst auf dem offenen Jeep durchgeschüttelte deutsche Tourist bei, der auf dem Schiff zwar den Französischkurs belegte – jetzt aber staunt, dass ein Stier, mon Dieu, «15 Millionen!» wert sei; will heissen quinze mille.
Andere Verständigungsprobleme birgt das Thema Stierkampf, das Gespräch zwischen Gästen und Führer – seine Familie besucht die Arena wie andere den Weihnachtsmarkt – harzt nicht wegen sprachlicher Defizite. Aber man will nicht riskieren, auf dieser Safari abgesetzt zu werden; und sieht ja mit eigenen Augen, dass die manadiers, die Züchter, den Stieren während der Aufzucht ein gutes Leben bieten: Zwischen den Reisfeldern grasen die schwarzen Ochsen friedlich im Naturschutzgebiet. Bis die spanischen Tiere zum tödlichen Kampf getrieben werden und die andern, die Camarguestiere, zum course libre.
Stiere, Liebe, Paddelfahrt
Für Jean Michel ist der Gang in die Arena nicht verwerflicher als der Werdegang eines Koteletts via Schlachthof, ein Stierkampfverfechter nicht schlechter als jeder Fleischesser. Um der Tradition des Südens die Krone aufzusetzen, fährt der Guide zum Grab von Rami – einem Stier, der 30-jährig wurde. Den die razeteurs unzählige Male durch die Gassen von Arles in die Arena getrieben hatten, wo er um seine Haut und die farbigen Bänder kämpfte, auf die das Jungvolk Hatz macht. Es zeuge von grosser Liebe, wenn der Patron seinem Tier einen Grabstein setze, sagt der Franzose pathetisch. Herdenwechsel. Die weissen Camarguepferde leben ausschliesslich auf der Weide, zutraulich nähern sie sich dem dargereichten Brot. Jetzt ist die Stimmung rosa wie die Flamingos, die in einem von Rhônewasser durchtränkten Delta nach Krabben fischen. Ringsum riechts nach Ferien, ob man an den Strand fährt, um dem Geschrei von Möwen und Kindern zu lauschen oder zum Schiff zurückkehrt und den Sonnenuntergang auf dem Oberdeck geniesst, das Grillbuffet und den lokalen Chansonnier. Bis einem, weil die Brise auffrischt, gewahr wird: Dieses Hotel fährt. Setzt seine Reise schwimmend fort, 400 Kilometer Richtung Meeresküste und 400 Kilometer retour nach Lyon, dies meist nachts. Deshalb kann man tagsüber das Velo satteln oder bequem den Bus besteigen, das Lavendelmuseum, historische Stätten besuchen, sich im Château de Beaucastel bei Monsieur Perrin zum Galadiner mit Weinprobe einfinden; oder mit dem Kanu durch die Ardèche paddeln (Achtung: Zur Schwimmweste unbedingt Helm verlangen, nicht jeder Guide ist vorbildlich – Wildwasser aber immer unberechenbar).
Dieser Lärm!
Mit der «A-Rosa» wird einem nie langweilig, man schwärmt ja in alle Himmelsrichtungen aus; darf dabei aber die Landgangskarte nicht vergessen: Damit kontrolliert die Crew gewissenhaft ihre Gästeschar. Und es ist sehr peinlich, wenn man vergisst, sich per Ticket zurückzumelden und übers Megafon als vermisst ausgerufen wird Apropos Ausrufen: Das Lauteste, was der Süden auf dieser Reise bietet, sind nicht die Strassenmusikanten in Avignon und nicht das Schiffshorn, sondern die Singzikaden: Abertausende dieser Lärmbrüder sitzen in Oliven- und Oleanderbäumen des Jardin de la Fontaine in Nîmes – und ihre penetrant monotonen, Kastagnetten ähnelnden Laute peinigen das Ohr wie Tinnitus. Nichts wie weg hier!
Wie Kate Winslet
An Bord der 126 Meter langen «A-Rosa» wird vom Spa- und Fitnessbereich über Filmshows bis zum Swimmingpool und Putting Green einiges angeboten. Das Publikum nimmts gelassen, auf der «A-Rosa» zählt der Luxus der Langsamkeit, hyperaktive Geister und gestählte Bodys sind anderswo. Auch die Garderobe stresst nicht, keiner protzt. So lässt man sich auch mal wie Kate Winslet auf der Titanic vom Fahrtwind frisieren, lässig am Bug stehend kann man zudem trefflich mit Käpt'n und Hotelmanager flirten. Die wiederum haben immer etwas zum Feiern, es ist der reinste Animationszirkus. Irgendwie schade, wenn man mit dem Angebot des Barkeepers, dieser gesellschaftlichen Schlüsselfigur, nicht viel anzufangen weiss Ist der Steg eingezogen, gibts kein Entrinnen. Dafür Streckenabschnitte – etwa mit Kieswerken, Industrie und AKW – während derer man das Augenmerk lieber aufs Tortenbuffet richtet. Oder man zieht sich in die mit Rosen tapezierte Kabine zurück. Wegen der Brandschutzisolation dringt kein Mucks vom Nachbarn durch, auch Ruhe zählt zu den Pluspunkten dieses Hotels. Und die in jedes Gesicht geschriebene Freundlichkeit! Was für ein Aufsteller, wenn vom Zimmermädchen bis zum Chefkoch alle das Motto auf den Lippen tragen: «Schön, dass Sie da sind.» Da kramt man verlegen nach Trinkgeld. Oder sucht das Haar in der Suppe. Aber ausser einem permanenten leichten Dieselgeruch liegt nichts in der Luft; und schliesslich müssen 22000 Liter Treibstoff, die das Schiff für seine achttägige Reise und die rund 200 Leute braucht, irgendwo verduften.
Ruckelt das Bett...
...ist es der Steuermann, er hat sich um wenige Zentimeter verschätzt – ist doch das Schiff 11,4 und die Schleuse 12 Meter breit. Gefangen in grausiger Gruft, wird einem schwarz vor Augen: Von Lyon bis unterhalb Avignon sind 12 Schleusen zu passieren und ein Höhenunterschied von 160 Metern. Jedes Mal ist es eine Erlösung, wenn sich das Eisentor wie von Geisterhand öffnet, den Blick freigibt auf die neue Etappe. Dass der reibungslose Ablauf nicht selbstverständlich ist, erlebten jene Passagiere, die im Mai wegen Hochwasser bei Lyon ankern und für die Weiterreise auf den Bus umsteigen mussten. Oder in den Jeep. Ach ja, Jean Michel: Just als er mit südfranzösischem Akzent auf einen Feldhasen, einen «lapäng!», hinweist und den deutschen Touristen erneut ins Grübeln bringt, kommt der erlösende Anruf: Sein Sohn ist zum Medizinstudium zugelassen. Der stolze Papa fährt Zickzack, die Zunge löst sich: Sein fils habe es geschafft, müsse nicht wie er als gardian zu Ross den Umzug anführen, nie vom Stierkampf leben. Es tönt wie eine Entschuldigung. Auch wenn der eine oder andere nur «päng!» versteht.
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