Im Arbeitszimmer des Autors Unterschriften fälschen mit Thomas Mann
In der ETH Zürich ist das Büro des Autors zu sehen: nicht rekonstruiert, sondern inszeniert. Auf intelligente Weise erhält man Einblick in Arbeitsalltag und Schreibprozess.

«Wo ich bin, ist die deutsche Kultur», verkündete Thomas Mann selbstbewusst, als er 1938 amerikanischen Boden betrat. Mit einem tschechoslowakischen Pass übrigens, Hitler-Deutschland hatte den Nobelpreisträger ausgebürgert. Nicht nur als geistiges Gepäck führte er die deutsche Kultur mit sich, auch materialiter: in Gestalt seines Schreibtisches, eines massiven Möbels mit den Massen 190 mal 100 mal 79 Zentimeter, Mahagonifurnier, acht Schubladen. Seit Ende der 1920er-Jahre, damals in der Villa in der Münchner Poschingerstrasse, hatte Thomas Mann an ihm Romane, Reden und Briefe geschrieben, immer mit Tintenfüller (und Tinten verschiedener Farben).
Die Arbeitsfläche wurde nach und nach mit Gegenständen bevölkert, die auf sein Leben und seine Werken Bezug nahmen: eine Jugendfotografie seiner Frau Katia, ein ägyptischer Diener wie der Joseph seiner Tetralogie, ein Buddhakopf, zwei Messingleuchter, ein Elefantenzahn, ein Zigarettenkästchen mit dem Bild einer russischen Troika (wie Clawdia Chauchat im «Zauberberg» eins mit sich führte). Objekte, in denen Realität und Fiktion, Inspiration und Erinnerung sich auf schillernde Weise verkörperten.
Der Schreibtisch samt Inventar begleitete ihn ins Exil, erst in die Schweiz nach Küsnacht, dann in die USA nach Princeton und Pacific Palisades, schliesslich wieder nach Europa, nach Erlenbach und Kilchberg. Nach seinem Tod 1955 schenkte die Witwe das Inventar seines Arbeitszimmers der ETH Zürich – neben dem Schreibmöbel waren das Sessel und Sofa, Bilder und die mehrere Tausend Bände umfassende Arbeitsbibliothek. Jahrelang war das Ensemble im Bodmerhaus zu besichtigen – die Anmutung eines Arbeitszimmers, eine Rekonstruktion, die Aura ausstrahlen sollte und das auch tat. Aber eben auf museale Weise.
Neue Museumskonzepte verlangen eine andere Präsentation, eine, die nicht auf Verehrung, sondern auf Information und Vermittlung zielt. Das Thomas-Mann-Archiv der ETH ist unter seinem Leiter Tobias Amslinger diesen Weg konsequent gegangen: Die kürzlich eröffnete Dauerausstellung im Hauptgebäude (Kuratorin: Nicola Lepp) ist eine Inszenierung, keine Pseudo-Wiederherstellung. In einem Seminarraum ist ein Glaskubus aufgebaut, um den man herumgehen und von allen Seiten Ein- und Durchblick nehmen kann.
«Thomas Mann rauchte eigentlich immer»
Die obersten Ränge werden von den Büchern der Arbeitsbibliothek eingenommen, darunter, umlaufend, die Ausstellung mit dem Titel «Im Schreiben eingerichtet». Sie zeigt den durchorganisierten, ja ritualisierten Schreiballtag des Autors, den unumstösslich festen Tagesablauf – vormittags Arbeit am Werk, nachmittags Spaziergang und Korrespondenz, abends Gespräche und Vorlesen – und die dazu notwendigen Utensilien. Ebenso, was zur Schriftstellerexistenz noch gehörte: Spazierstöcke, Schlaftabletten, Zigarren («Thomas Mann rauchte eigentlich immer», liest man dazu).
Aber auch der Schreibprozess selbst wird thematisiert und präsentiert: etwa am Beispiel des «Felix Krull», Früh- und Spätwerk zugleich. In einer Passage des Romans ist von einer Seelilie die Rede, einem Meerestier, mit dem eine Romanfigur den Helden vergleicht. Die Besucher lernen mit dem Fachbuch des Biologen Paul Kammerer Thomas Manns Quelle für ebendiese Passage kennen, die sie dann auch lesen – und, in der genau artikulierenden, leicht näselnden Stimme des Autors, hören können.
Eine Platte mit einer fossilisierten Seelilie liegt auf dem Schreibtisch. Dazu gibt es Schriftproben der Unterschriften, die Krull fälschte, als er zum Marquis de Venosta wurde. An der des Vaters «E. Krull» kann sich jeder selbst auf einem Tablet versuchen. Mehr als 500 Zeitungsausschnitte zu den Themen Hochstapelei, Geldadel, Juwelenpreise und –diebstähle hat Thomas Mann gesammelt; in dem Konvolut kann man blättern.
«Höchste Phantastik, die Dinge hier wieder um mich zu haben.»
Innen im transparenten Kubus sind die Möbel des Arbeitszimmers aufgebaut, nicht imitierend, sondern «dekonstruktiv», wie es etwas modisch in einem Film zur Entstehung der Ausstellung heisst. Neben Sofa und Fauteuil steht er da, der Schreibtisch, mit allen Figurinen und Statuetten, und man kann nachlesen, mit welcher Begeisterung der Schriftsteller sie, kam er an einen neuen Ort, auspackte: «Höchste Phantastik, die Dinge hier wieder um mich zu haben», schrieb er 1938 aus Princeton über die «genaue Wiederherstellung des Schreibtisches».

War es doch sein Bestreben, sein «Leben und Treiben» fortzusetzen, «unalteriert von Ereignissen, die mich schädigen, aber nicht beirren und demütigen können». Der Schreibtisch war eine Voraussetzung dafür: das zugleich materielle wie inspirierende Zentrum jener Heimat, die er sich überall wiederherzustellen imstande war.
Die ETH hat in Thomas Manns später Wahlheimat Zürich eine überaus intelligente Lösung dafür gefunden, diesen Komplex zu präsentieren. Die Dauerausstellung ist eine Freude für jeden Literaturfreund.
Thomas-Mann-Archiv, ETH-Hauptgebäude, Raum E 43-46, täglich 10–17 Uhr.
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