Unternehmenssteuer und Weissgeld: Der Nationalrat in Kürze
Gestern dauerte die Sitzung der grossen Kammer etwas länger: Mit diesen zum Teil brisanten Vorlagen hat sich der Nationalrat beschäftigt.

Der Nationalrat will Streumunition verbieten. Dafür hat er sich heute Mittwoch im Grundsatz ausgesprochen. Gegen den Antrag seiner Sicherheitskommission ist er mit grosser Mehrheit auf ein Abkommen zur Ächtung von Streumunition eingetreten. Die Gegner eines Verbots hatten geltend gemacht, dass dadurch die Armee zu sehr geschwächt würde. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey erinnerte sie daran, dass der Einsatz von Streumunition vor allem Opfer unter der Schweizer Zivilbevölkerung fordern würde. Die Kommission muss sich nun noch einmal mit der Vorlage befassen. Der Ständerat hat ihr bereits zugestimmt.
Ausserdem standen folgende Vorlagen zur Debatte:
Frankenstärke: Der Nationalrat hat einmal mehr über die negativen Auswirkungen des starken Frankens auf die Schweizer Wirtschaft debattiert. Dabei sprach er sich als Erstrat dafür aus, den Tourismussektor nächstes Jahr vorübergehend von der Mehrwertsteuer zu befreien. Damit der Bundesrat aktiv wird, muss aber zuerst noch der Ständerat zustimmen. Weiter hiess der Nationalrat eine Motion gut, die vom Bundesrat bis März 2012 eine Botschaft zur Unternehmenssteuerreform III verlangt. Die Reform soll insgesamt eine Senkung der Unternehmenssteuern bringen. Alle anderen Vorstösse zur Senkung von Gebühren und Abgaben – etwa zu den TV- und Radiogebühren oder der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe LSVA – wurden abgelehnt. Auch Vorstösse, die neue währungspolitische Instrumente forderten, waren chancenlos.
Mehrwertsteuer: Der Mehrwertsteuer-Einheitssatz ist vom Tisch. Der Nationalrat hat zum zweiten Mal entschieden, den Vorschlag des Bundesrats für einen Einheitssatz zurückzuweisen. Für die Mehrheit des Rates sind die Vorschläge des Bundesrates politisch nicht mehrheitsfähig. Nahrungsmittel, das Gesundheits- und Bildungswesen, Sport- und Kulturveranstaltungen sowie das Gastgewerbe wären verteuert worden, während Luxusgüter von einem tieferen Satz profitiert hätten. Nur die FDP und die Grünliberalen plädierten für den Einheitssatz. Die Wirtschaft werde so vor administrativem Aufwand entlastet. Nachdem der Nationalrat das Geschäft nun zum zweiten Mal zurückgewiesen hat, muss der Bundesrat über die Bücher und eine Mehrwertsteuer mit zwei Sätzen ausarbeiten.
Bankgeheimnis: Die Schweiz weicht das Bankgeheimnis weiter auf. Sie leistet künftig vielen Staaten auch dann Amtshilfe, wenn diese den Namen des mutmasslichen Steuersünders nicht angeben. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat einer Ergänzung diverser Doppelbesteuerungsabkommen zugestimmt, gegen den Willen der SVP. Es handelt sich um die Abkommen mit Dänemark, Finnland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Katar, Luxemburg, Mexiko, Norwegen und Österreich. In Bezug auf das weitere Vorgehen in Sachen Bankgeheimnis kündigte Finanzministerin Widmer-Schlumpf für kommendes Jahr Entscheidgrundlagen an. Im Januar will der Bundesrat einen Bericht zur «Weissgeldstrategie» vorlegen.
Voranschlag: Das Budget 2012 muss in die Einigungskonferenz. Der Nationalrat war auch heute nicht bereit, die letzte Differenz auszuräumen. Es handelt sich um eine Aufstockung der Direktzahlungen für die Landwirtschaft um 20 Millionen Franken. Ungefähr dieser Betrag wird nächstes Jahr in freiwillige Programme für die Ökologie und das Tierwohl umgeleitet. Der Nationalrat beharrt darauf, dass die Direktzahlungen deswegen nicht gekürzt werden dürfen. Der Voranschlag für nächstes Jahr sieht mit Einnahmen und Ausgaben von rund 64,1 Milliarden Franken eine schwarze Null vor.
Zwangsheirat: Zwangsheirat soll in der Schweiz ausdrücklich unter Strafe stehen, unabhängig davon, wo es zur Eheschliessung kam. Vorgesehen sind Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren. Zudem werden Ehen mit Minderjährigen nicht mehr toleriert, auch wenn sie im Ausland geschlossen wurden. So sieht es ein Revisionspaket vor, auf welches der Nationalrat gestern Dienstag eingetreten ist. Aus Zeitgründen findet die Detailberatung erst in der Frühjahrssession statt. Die Vorlage geniesst die Unterstützung aller Fraktionen. Jedoch liegen mehrere Änderungsanträge vor.
Steuerschulden: Die Steuerbehörden sollen gegenüber anderen Gläubigern eines Erblassers nicht mehr besser gestellt sein. Der Nationalrat hat nach dem Ständerat eine Motion gutgeheissen, mit der der Bundesrat beauftragt wird, eine entsprechende Revision des Mehrwertsteuergesetzes einzuleiten. Konkret sollen künftig die Steuerbehörden Forderungen nicht mehr nachträglich anmelden können. Sie sollen wie die anderen Gläubiger ihre Forderungen im Rahmen des öffentlichen Inventars geltend machen müssen. Vergeblich wehrte sich Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf gegen die Motion. Sie führe nicht zu dem vorgegebenen Ziel.
Banken: Der Nationalrat befasste sich auch mit dem US-Gesetz «Foreign Account Tax Compliance Act» (Fatca). Das Gesetz, das 2013 in Kraft tritt, bringt Verpflichtungen für Banken. Der Nationalrat folgte dem Ständerat und stimmte einer Motion zu, die den Bundesrat beauftragt, Fragen zur Umsetzung dieses Gesetzes mit den Banken zu koordinieren und mit den US-Behörden Verhandlungen für Rahmenbedingungen aufzunehmen. Banken und andere Finanzintermediäre wie Lebensversicherer werden durch das US-Gesetz angehalten, mit den US-Steuerbehörden einen Vertrag einzugehen, wonach sie alle US- Personen, die eine Kontobeziehung unterhalten, offenlegen. Der Bundesrat soll darauf achten, dass Schweizer Banken gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten nicht schlechter gestellt werden.
Syrien: Die Schweiz soll sich dafür einsetzen, dass die kurdische Minderheit in Syrien nicht diskriminiert wird. Der Nationalrat hat einer entsprechenden Motion zugestimmt, die auf eine Petition zurück geht. Der Bundesrat zeigte sich einverstanden mit dem Auftrag. Eine alleinige Fokussierung auf die kurdische Minderheit würde der aktuellen Situation jedoch nicht gerecht, sagte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Die Schweiz werde sich in den internationalen Organisationen für die Menschenrechte aller Bürgerinnen und Bürger Syriens einsetzen und dabei ein besonderes Augenmerk auf religiöse und ethnische Minderheiten richten.
Rauchen: Der Bundesrat muss die elektronische Zigarette von der Tabaksteuer befreien. Damit hat ihn der Nationalrat beauftragt. Laut Kommissionssprecherin Hildegard Fässler dient die E-Zigarette Rauchern als Ausstiegshilfe und muss darum wie Nikotinpflaster oder -kaugummis behandelt werden. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf wehrte sich gegen die Motion und wies darauf hin, dass nur Entwöhnhilfen und nicht auch Ersatzprodukte von der Steuer befreit seien. Dafür brauchten sie aber eine Zulassung von Swissmedic.
Steuern: Die «Steuerpolizei» des Bundes wird nicht abgeschafft. Der Nationalrat hat es abgelehnt, einer parlamentarischen Initiative von Christoph Mörgeli (SVP/ZH) Folge zu geben. Es geht dabei um die besonderen Untersuchungsmassnahmen, welche die Eidgenössische Steuerverwaltung bei Verdacht auf schwere Steuerwiderhandlungen ergreifen kann. Dies verstosse gegen den Föderalismus, da es Aufgabe der Kantone sei, die direkten Bundessteuern zu veranlagen, sagte Mörgeli. Die Mehrheit des Rates war dagegen der Ansicht, dass sich die Untersuchungsmassnahmen in schwerwiegenden Steuerhinterziehungsfällen als nützlich erwiesen hätten.
Finma: Banken sollen die Kosten von Untersuchungen der Finanzmarktaufsicht Finma künftig nur noch tragen müssen, wenn sich die Vorwürfe bestätigt haben. Der Nationalrat hat mit Stichentscheid seines Präsidenten eine Motion der Wirtschaftskommission gutgeheissen. Mit 121 zu 46 Stimmen abgelehnt hat der Nationalrat dagegen eine parlamentarische Initiative von Christoph Mörgeli (SVP/ZH). Nach seinem Willen sollte die Finma künftig unbeschränkt haften.
Energie I: Der Bund muss bei Renovationen und Neuerstellungen von Bundesbauten künftig prüfen, ob diese energieeffizient und mit erneuerbaren Energien betrieben werden können. Der Nationalrat hat eine vom Ständerat leicht abgeänderte Motion an den Bundesrat überwiesen. Ist ein energieeffizienter Umbau oder Bau möglich, prüft der Bund die Möglichkeit von sogenannten Energieplus-Bauten – Gebäuden, die mehr Energie produzieren als verbrauchen. Er vergleicht die dafür notwendigen Kosten mit den mehrjährigen Einsparungen der Betriebskosten und legt das Ergebnis bei Bauten über 10 Millionen Franken dem Parlament vor.
Energie II: Der Bundesrat soll prüfen, wie die Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien für den Eigenbedarf gefördert werden kann. Der Nationalrat hat eine vom Ständerat abgeänderte Motion mit diesem Auftrag an den Bundesrat überwiesen. Der Nationalrat hätte mehr gewollt. Er hatte im Frühjahr eine Motion von Laurent Favre (FDP/NE) angenommen, die Steuererleichterungen forderte. Demnach sollten jene Einnahmen aus der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) für erneuerbare Energien, die aus der Stromproduktion für den Eigengebrauch stammen, von den Steuern befreit werden. Dem Ständerat ging dies jedoch zu weit, er schwächte den Vorstoss ab.
Micheline Calmy-Rey: Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey hat heute zum letzten Mal im Nationalrat gesprochen. Nach ihren Voten zugunsten eines Verbots von Streumunition sowie zur Lage in Syrien wurde die abtretende Aussenministerin von Nationalratspräsident Hansjörg Walter für ihren Einsatz zugunsten der Schweiz und der Menschenrechte geehrt. Unter anhaltendem Applaus wurde Calmy-Rey danach vom Rat verabschiedet.
Weiter hat heute die Vereinigte Bundesversammlung zwei Richter ernannt: Marie-Chantal May Canellas ist neue Richterin am Bundesverwaltungsgericht. Die Bundesversammlung hat die 38-jährige Walliserin für den Rest der laufenden und für die nächste Amtsperiode gewählt. Yves Rüedi wird nebenamtlicher Richter am Bundesgericht. Er ersetzt Georges Greiner, der Ende 2011 zurücktritt. Die Bundesversammlung hat auch die Mitglieder des Militärkassationsgerichts für die neue Amtsperiode bestätigt.
SDA/ami
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