Geschlechter-Graben geht nur äusserst langsam zurück
Ein WEF-Bericht zur Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zeigt kaum Entwicklung in den Arbeitsmärkten – besonders in der Schweiz.

Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern geht zurück, das ist die gute Nachricht, die sich aus dem «Gender Gap Report 2020» des Weltwirtschaftsforums (WEF) entnehmen lässt. Die schlechte Nachricht ist, dass dieser Prozess nur äusserst langsam vonstattengeht. Am Beispiel der 107 Länder, die seit dem ersten Report betrachtet werden, würde es rund 100 Jahre dauern, bis über alle betrachteten Bereiche Gleichstellung erreicht wäre, wenn die Entwicklung weiter wie bisher verläuft.
In einem Bereich hingegen zeigt sich noch deutlich weniger Bewegung: jenem der Arbeitsmärkte – der «Economic Participation and Opportunity» wie er im Bericht heisst. Im Fokus stehen hier die Beteiligung am Arbeitsmarkt, die Löhne, die Jobqualität und Aufstiegschancen. Hier würde es gemäss WEF sogar 257 weitere Jahre dauern, bis die Gleichstellung erreicht ist.
Von Rang 18 auf Rang 34 zurückgefallen
In der Rangordnung der Länder betreffend erreichte Gleichstellung hat sich die Schweiz in den letzten 20 Jahren insgesamt zwar vom 26. auf den 18. Rang verbessert. Doch hier fliessen neben dem Bereich der Arbeitsmärkte auch die Gesundheit, die Bildung und die politischen Ämter mit ein. Betrachtet man nur die Arbeitsmärkte, ist die Schweiz vom 18. Rang im Jahr 2006 auf den Rang 34 zurückgefallen.
Gemessen wird die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen bei allen Ländern zum einen an statistischen Erhebungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO (zu Löhnen und beruflichen Positionen). Zum anderen fliesst eine Umfrage des WEF unter Wirtschaftsführern mit ein. Die Autoren haben aus beiden Datenquellen einen Index mit Werten zwischen 0 (maximaler Graben zwischen den Geschlechtern) und 1 (vollkommene Geschlechtergleichstellung) erstellt.
Grösster Graben bei den Karrierechancen
Die grösste Ungleichheit in Bezug auf den Arbeitsmarkt zeigt sich in der Schweiz bei den Aufstiegschancen. Bei der Vertretung von Frauen in Management- und ähnlichen Führungspositionen zeigt der Index nur einen Wert von 0,526 an. 2006 lag er mit einem Wert von 0,39 allerdings noch deutlich tiefer. Der Anteil von Frauen in Verwaltungsräten börsengelisteter Unternehmen liegt nur gerade bei 21,3 Prozent. Beim Lohn für gleiche Arbeit zeigt der Index einen Wert von 0,707. Auch dieser war im Jahr 2006 mit 0,62 noch tiefer.
Zusammenhänge und Erklärungen für die Geschlechterdifferenzen liefert der Bericht des WEF für einzelne Länder nicht. Insgesamt verweist er auf eine deutlich geringere Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt. Bei Frauen liegt sie nur bei 55 Prozent im Gegensatz zu 78 Prozent der Männer. Wie Studien zur Schweiz zeigen, liegt der Anteil der Frauen mit einem Teilzeitpensum bei 61 Prozent, jener der Männer dagegen bei nur bei rund 17 Prozent. Rund die Hälfte der Teilzeit arbeitenden Frauen geben dafür familiäre Gründe an. Bei den Männern mit Teilzeit sind es nur 16 Prozent.
Laut dem Familienbericht 2017 liegt die Verantwortung für Kinderbetreuung und Hausarbeit in 63 Prozent der Paarhaushalte in alleiniger Frauenhand, in nur 5,1 Prozent sind dafür die Männer zuständig. Diese Art der Arbeitsverteilung benachteiligt die Frauen auf dem Arbeitsmarkt deutlich. Berufskarrieren und Aufstiegschancen sind meist mit Vollzeitstellen verknüpft. Mit geringeren Pensen ist in der Regel nicht nur ein tieferer Lohn (auch auf Vollzeit hochgerechnet) verbunden, sondern auch ein geringerer Lohnanstieg über die Zeit.
Am Geschlecht liegt es nicht
Die mit dem technologischen Fortschritt verbundene Entwicklung auf den Arbeitsmärkten droht diese Gräben weiter zu verschärfen, wie das WEF schreibt. Hoch qualifizierte Jobs in Teilzeit sind selten. Das bedeutet, dass Frauen am Rande des Arbeitsmarkts nicht nur Lohneinbussen und geringere Karrierechancen in Kauf nehmen, sondern auch den Anschluss an die immer raschere Veränderung der Anforderungsprofile in vielen Jobs zu verpassen drohen.
Um der Gleichberechtigung mehr Schub zu geben, braucht mehr als nur eine Einstellungsänderung.
All diese Nachteile haben nichts mit dem Geschlecht an sich zu tun. Wie der WEF-Bericht ebenfalls festhält, bieten die modernen wissensbasierten Jobs den Frauen sogar mehr Chancen als früher. Um der Gleichberechtigung im Bereich der Arbeitswelt mehr Schub zu geben, braucht es zum einen veränderte Einstellungen zwischen den Geschlechtern – die zu einer veränderten Aufteilung der Nicht-Erwerbsarbeit führen. Doch das alleine reicht nicht. Notwendig ist auch, dass Unternehmen Arbeitsmodelle fördern, die für beide Geschlechter die Vereinbarung von Familie und Beruf besser ermöglichen, ohne Abstriche in der Berufs- und Karriereentwicklung. Wichtig sind letztlich aber auch Anpassungen in der öffentlichen Infrastruktur. Dazu gehört unter anderem ein ausgebautes Angebot der Kinderbetreuung wie etwa Tagesschulen.
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