Papablog: Weltfremder SchulstoffUnd wo lernen wir fürs Leben?
Eine Steuererklärung ausfüllen, Reparaturen, professionelles Recherchieren oder ressourcenschonendes Verhalten: Was sich unser Autor für den Schulunterricht wünscht.

Als ich mit der Schule fertig war, wusste ich, was der Unterschied zwischen Mitose und Meiose ist. Ich war ein Ass in Gedichtanalysen, hatte mich geschichtlich diverse Male durch Perioden der deutschen Geschichte bewegt und konnte einigermassen sicher krummlinig begrenzte Flächen berechnen. Ich war so lange mit der toten Sprache Latein belästigt worden, dass ich sie mit meiner ebenfalls lateingeschädigten Lebenskomplizin zur rudimentären Verständigung in Situationen benutzen konnte, in denen uns niemand anderes verstehen sollte.
Ich konnte das Proömium von Homers Odyssee auf Altgriechisch auswendig, ich wusste viel über die Geschichte des Jazz und hatte mir auf immer die englische Vokabel «chimney pot» eingeprägt, weil die Aussage meines Englischlehrers zutraf, dass man «so unnütze Begriffe im Gegensatz zu wirklich wichtigen leider immer behält». Kaum etwas davon habe ich «fürs Leben gelernt» und nur wenig hat für mein Berufsleben oder gar meinen Alltag jemals eine Rolle gespielt.
Gefragt: Bulimielernen
Das meiste habe ich mir für die entsprechenden Prüfungen durch Bulimielernen angeeignet. Also durch das Reindreschen von Fakten ins Kurzzeitgedächtnis, ohne dass davon wirklich etwas hängen bleibt. Vollgestopft mit grösstenteils unnützem Wissenskrempel sass ich in Klausuren und wartete darauf, mich so rasch wie möglich auskotzen zu können.
Allerdings gab es auch Ausnahmen, von denen ich auch heute noch profitiere. So konnte ich in der Oberstufe als notenrelevante Sportart Schwimmen belegen und hatte die Gelegenheit, das als beinahe erwachsener Mann noch einmal richtig zu lernen. Kraulen zum Beispiel und Schmetterling. Mittlerweile bin ich ein mittelalter Mann und Vater einer Tochter, die gerade selber Abitur macht – und frage mich immer häufiger, was das eigentlich soll. Zwei Jahrzehnte lang habe ich mich darüber aufgeregt, was ich mir alles für einen Unfug reinziehen musste. Mittlerweile betrifft und schmerzt mich mehr, was ich alles nicht gelernt habe.
Wofür Schule auch da sein könnte
Man hätte mir zeigen sollen, wie man eine Steuererklärung macht und viele andere Dinge, die in den Bereich «Verantwortlichkeit für die eigene behördliche Existenz» fallen. Ich hätte im Sexualkundeunterricht gerne etwas über «enthusiastischen Konsens», Familienplanung und Rollenbilder gelernt. Und ganz allgemein wäre ich über ein paar Fächer mit mehr lebenspraktischem Bezug froh gewesen:
Kochen
Dinge reparieren
Professionelles Recherchieren
Konfliktlösungsstrategien
Präsentationsskills
Selbstwahrnehmung
Budgetplanung
Haushaltsführung
Ressourcenschonendes Verhalten
Kapitalismusstrukturen
Diskriminierungsformen und wie man sie bekämpft
Trauerbewältigungsmöglichkeiten
Mentale Gesundheit
Es gibt so viele Themen, zu denen uns nicht nur als junge Erwachsene, sondern auch noch sehr viel später jede Form von Expertise fehlt, dass es kaum verwundert, wie verloren wir häufig durch unser Leben taumeln. Mir geht es dabei nicht um Bildung als Lebensversicherung. Man kann sich niemals auf alles vorbereiten und Lebenserfahrung nicht ersetzen. Ausserdem gibt es Themen, von denen man als Jugendlicher oder junger Erwachsener einfach nichts wissen will.
Aber wir versuchen es ja nicht einmal. Wir sparen einen gewaltigen Teil lebensrelevanter Themen aus und vertagen und verschieben ihn irgendwo hin. Irgendwie wird irgendwer ihm oder ihr schon irgendwas davon beibringen. Und was, wenn nicht? Was, wenn es dann zu spät ist? Was, wenn mich beispielsweise meine mentale Gesundheit in den Abgrund reisst, weil man mir nie beigebracht hat, dafür eine Sensibilität und Aufmerksamkeit zu entwickeln? Dann hätte man das besser machen können. Machen müssen. Und genau dafür sollte Schule eben auch da sein.
Wie ist es mit Ihnen, liebe Leser und Leserinnen? An welchen Schulstoff können Sie sich erinnern? Und gibt es weitere Fächer oder Lektionen, die Sie sich für den Schulunterricht wünschen?
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