Türken fordern Erdogans Rücktritt – Polizei reagiert mit Gummischrot
Die Wut über den jüngsten Korruptionsskandal entlädt sich auf der Strasse. Die Polizei setzt Wasserwerfer und Tränengas gegen die Demonstranten ein.
Die türkische Justiz hat weiteren Eingriffen der Regierung in die Aufklärung des massiven Korruptionsskandals einen Riegel vorgeschoben: Der Staatsrat stoppte heute ein hoch umstrittenes Dekret, mit dem Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Kontrolle über die Polizei ausweiten wollte.
Die EU-Kommission warf seiner Regierung vor, die Korruptionsermittler zu behindern. In Istanbul und Ankara gingen am Abend erneut tausende Erdogan-Gegner auf die Strasse. Erdogan wollte mit dem Dekret vom vergangenen Sonntag sicherstellen, dass Polizisten ihre Vorgesetzten informieren, bevor sie Anweisungen der Staatsanwaltschaft ausführen. Für den Staatsrat war das offenbar ein Manöver, um weitere Verdächtige aus dem Umfeld der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (APK) vor dem Zugriff der Justiz zu schützen. Die oberste Justizbehörde des Landes erklärte, die Anwendung des Dekretes würde dem Staat «irreparable Schäden» zufügen.
Zehn Minister ausgetauscht
Von einer ersten Verhaftungswelle vor anderthalb Wochen waren dutzende Geschäftsleute und Politiker aus dem Umfeld Erdogans betroffen, die Söhne von drei Ministern sitzen in Untersuchungshaft. Unter dem Druck der Justiz tauschte Erdogan zehn Minister aus.
Seinen Gegnern reicht das nicht. Auf dem Istanbuler Taksim-Platz setzte die Polizei am Freitag Wasserwerfer und Plastikgeschosse ein, um Demonstranten zu vertreiben, die Erdogans Rücktritt forderten. In Ankara reckten Demonstranten Schuhkartons in die Luft - in Anspielung an einen mit Geldscheinen vollgestopften Karton, der bei einem der Verhafteten gefunden worden war.
Welcher Einfluss spielt Gülen?
In der Affäre geht es nach Angaben der Ermittler um die Bestechung von Politikern, um Genehmigungen für Bauvorhaben zu erreichen und illegale Goldgeschäfte der staatlichen Halkbank mit dem Iran zu vertuschen. Hintergrund ist aber offenbar ein Konflikt zwischen der AKP und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Erdogan hatte die Bewegung mit der Ankündigung gegen sich aufgebracht, hunderte ihrer Nachhilfezentren zu schliessen.
Nach den ersten Verhaftungen entliess die Regierung hunderte Polizisten, denen sie vorwarf, sie nicht über die Ermittlungen informiert zu haben. Am Donnerstag wurde zudem Staatsanwalt Muammer Akkas von den Ermittlungen abgezogen. Er warf seinen Vorgesetzten und der Polizei vor, ihn unter Druck gesetzt und sich geweigert zu haben, weitere Verdächtige aus der AKP festzunehmen.
«Unabhängigkeit der Justiz wird untergraben »
Dadurch werde «die Unabhängigkeit der Justiz untergraben», kritisierte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle. Er verlangte vom EU-Beitrittskandidaten Türkei, den Korruptionsskandal «transparent und unparteiisch aufzuklären».
Die türkische Presse meldete gar, dass die Justiz auch gegen Erdogans Sohn Bilal ermittele, der die Jugend- und Bildungsstiftung TURGEV leitet. Erdogan selbst bezeichnete die gesamten Ermittlungen am Freitag vor Parteianhängern abermals als Schmierenkampagne und Angriff auf die Türkei und ihre starke Wirtschaft. Doch die bekommt die Krise auch immer stärker zu spüren: Die türkische Lira fiel am Freitag auf ein Allzeitief gegenüber dem Dollar, die Börse sackte um gut einen Prozent ab.
Zu Gerüchten eines geplanten Militärputsches erklärte der Generalstab, die Streitkräfte wollten «nicht in die politischen Debatten» hineingezogen werden. Das türkische Militär hatte in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder interveniert, um ihre Interessen zu verteidigen und den säkularen Charakter des Staats zu schützen.
SDA/mrs
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