Totentanz führt zurück in die Reformation
Ein schwer verletzter Söldner, eine ehrsame Frau Pfarrer und Männer, die sich hemmungslos ihren Freuden hingeben: Der Theaterverein Müntschemier lässt auf der Bühne die Zeit der Reformation aufleben.

Hans Glötzli hat einen Traum. Eben hat er, wenn auch schwer verletzt, als Einziger das Gemetzel der Bartholomäusnacht von 1572 überlebt. Dass ausgerechnet er, der reformierte Söldner aus dem Berner Seeland, den von den Katholiken angezettelten Angriff im fernen Frankreich so übersteht, mag als Ironie des Schicksals erscheinen.
Nacheinander ziehen nun vor ihm jene Leute durch, die ihm daheim in Müntschemier nahestehen. Seine drei Kinder schreiten würdevoll über das Schlachtfeld, aber auch Hexen und ein Henker, dazu zwei Chorrichter, der Pfarrer mit seiner Frau und schliesslich der Landvogt, auch er in Begleitung seiner Frau, als Vertreter der Obrigkeit in Bern. Es ist eine Art Totentanz, die Glötzli in seinem fiebrigen Traum erlebt.
Noch vieles im Fluss
Der Totentanz. Er spielt nicht nur hier und heute auf der Theaterbühne in Müntschemier eine tragende Rolle. Er tat dies vor allem im Bern des 16. Jahrhunderts. Das weitherum beachtete, inzwischen aber längst vernichtete Gemälde gilt als wichtiger Wegbereiter für die Berner Reformation: 24 riesige Bilder malte der umtriebige Künstler und Politiker Niklaus Manuel Deutsch auf 80 Metern an eine Friedhofmauer. Sie zeigten den kleinen Mann neben den kirchlichen Würdenträgern, stellten so den Machtanspruch der katholischen Kirche ungeschminkt infrage.
Der Theaterverein Müntschemier lässt die Zeit der Reformation aufleben. Genauer die Zeit kurz nach der Reformation, denn «Fluech u Säge», wie das Stück heisst, setzt erst 1567 ein. Seit Bern der katholischen Kirche den Rücken gekehrt hat, sind schon 39 Jahre vergangen, doch noch immer ist viel im Fluss, wie die Hauptfigur am eigenen Leib erfährt.
Der Totentanz spielt nicht nur hier und heute auf der Theaterbühne in Müntschemier eine tragende Rolle.
Hans Glötzli aus Müntschemier stösst in aller Öffentlichkeit einen Fluch aus. Um der Strafe zu entgehen, heuert er in fremden Kriegsdiensten an – und findet sich 5 Jahre später in der Gewaltorgie der Bartholomäusnacht wieder.
Niedergeschrieben hat die Geschichte Alt-Pfarrer Ueli Tobler. «Im Theater konnte ich die Themen und Stimmungen von damals anschaulich darstellen», erklärt er. Dazu gehört der desolate Zustand der vorreformatorischen Gesellschaft. Die einfachen Leute lebten, in einer von Missernten geprägten Zeit zum Teil notgedrungen, von der Hand in den Mund. Man suchte das Vergnügen und das schnelle Geld, das Glücksspiel und das Söldnertum standen hoch im Kurs.
Auf der Bühne erinnern die Kumpel von Hans Glötzli an die alten Zeiten, die eigentlich vergangen sein sollten. Hemmungslos geben sie sich ihren Freuden hin, machen auch vor verheirateten Frauen nicht halt. Ihnen steht die redliche Frau Pfarrer gegenüber, die sich der Kinder von Hans Glötzli annimmt.
Sie versorgt sie im Pfarrhaus, bringt ihnen Lesen und Schreiben bei, führt sie auch in einen Beruf ein. In ihr zeigen sich erste Ansätze der Armenfürsorge, des Erziehungswesens und des reformierten Arbeitsethos, das den Beruf als Ehrendienst an Gott versteht. Es sind drei wichtige Elemente des neuen Glaubens.
Die einfachen Leute lebten, in einer von Missernten geprägten Zeit zum Teil notgedrungen, von der Hand in den Mund.
Trotzdem will Ueli Tobler die Reformation nicht glorifizieren. Dafür steht jene Szene, bei der die Chorrichter eine Frau zwingen, den Boden zu küssen. Sie hat mit dem falschen Mann getanzt – offen redet er davon, dass der lange Arm der reformierten Obrigkeit leicht in einen Gesinnungsterror ausartete.
Dem Staat hält er gleichzeitig zugute, dass er sich echt um seine Untertanen sorgte. Sie sollten gottesfürchtig leben, damit Gottes Segen auf sie zurückfallen konnte. Als weitere Errungenschaft nennt er die Kirchenbücher, in denen Lebens- und Familiendaten wie Hochzeiten, Geburten und Todesfälle verzeichnet wurden. So war schwarz auf weiss fixiert, was bisher nur die Dorfgemeinschaft gewusst hatte.
Die Kraft des Wortes
Die Namen und Daten vieler Figuren hat Ueli Tobler genau in solchen Büchern gefunden. Er nimmt so eine Tradition auf, der der Theaterverein in seinen grossen Produktionen nachlebt: Sie haben stets einen direkten lokalhistorischen Bezug.
Auf etwas weist der Theaterautor noch hin. Letztlich drehe sich das Stück um die Frage, ob aus dem für Hans Glötzli so verheerenden Fluch am Schluss ein Segen werden könne. Es gehe um die Frage, welche Kraft ein Wort entwickle – prompt ist er wieder im reformatorischen Denken gelandet, wo das Wort derart im Zentrum steht.
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