Tibet: eine Himmelsbahn, zwei Welten
Peking treibt die touristische Entwicklung Tibets voran. Das erhöht einerseits den Lebensstandard in der chinesischen Provinz – und verdrängt andererseits nach und nach die alte tibetische Kultur.

Wehende Gebetsfahnen in weiter Berglandschaft. Friedliche Mönche und Pilger mit Gebetsmühlen. Sonnengegerbte Bauern in farbenfrohen Gewändern. Verbiesterte Chinesen in den Büros der Administration. Bis an die Zähne bewaffnete Soldaten vor den Tempeln der Buddhisten. So stellen wir uns Tibet vor. Und genau so ist es. Noch. Am frühen Morgen, wenn in der tibetischen Hauptstadt Lhasa die ersten Sonnenstrahlen auf den wuchtig himmelwärts strebenden Potala-Palast fallen, ist spürbar, wie lebendig der buddhistische Glaube zumindest bei den älteren Tibetern noch ist. Ein nie abreissender Strom von traditionell gekleideten Pilgern, viele in Begleitung ihrer Hunde, umrundet schweigend und andächtig den monumentalen Sitz der Dalai Lama im Uhrzeigersinn. Gerüche von Yakbutter und brennenden Kräutern wehen aus kleinen Felsnischen. Nur ab und zu trägt der Wind martialisches Gebrüll über die friedliche Szenerie. Es kommt vom Morgendrill aus nahen chinesischen Kasernen. In Sichtweite des Pilgerstroms stehen auf erhöhten Podesten in dicke Mäntel verpackt blutjunge chinesische Soldaten stramm und halten Wache.