Tempo ist relativ
Sandra Rutschi dachte am Beckenrand ihres Lieblingshallenbads über Selbsterkenntnis, Geschlechterrollen und Klischees nach.
Es war einer dieser brütend heissen Spätsommertage, an denen sich die ganze Stadt und die halbe Agglo in die Gratisfreibäder oder an die Aare zwängte. Entsprechend zuversichtlich trippelte ich die Treppe in meinem Lieblingshallenbad hoch und wurde nicht enttäuscht: Nur eine Bahn war von einem Verein beschlagnahmt, in einer strampelte eine Aqua-Joggerin – und in den beiden anderen schwammen lediglich je drei Leute. Luxus pur.
Ich setzte die Schwimmbrille auf und wollte gerade ins Wasser steigen, als ich stutzte: «Kreisschwimmen langsam» stand zwar vorne auf dem Springbock jener Bahn, in der ich normalerweise meine Längen crawle. Doch die Schwimmer darin waren unglaublich zügig unterwegs. In der benachbarten Bahn hingegen, jener für «Kreisschwimmen schnell», ging es wesentlich gemächlicher zu und her. Und während in der langsamen Bahn nur Frauen durchs Wasser schossen, plätscherten in der schnellen ausschliesslich Männer vor sich hin.
Ich verharrte am Beckenrand und dachte über Selbsterkenntnis, Geschlechterrollen und Klischees nach – hin- und hergerissen, wen ich nun lieber einige Sekunden unter Wasser tauchen würde: die dümpelnden Männer in der schnellen oder die flitzenden Frauen in der langsamen Bahn. Als ich innerlich kochte, aber äusserlich zu frieren begann, gesellte ich mich zur Aqua-Joggerin. In der Hoffnung, dass wir für die nächste halbe Stunde zu zweit bleiben und so aneinandervorbeikommen würden.
Erst nach einem halben Kilometer keimte in mir die Hoffnung auf, dass vielleicht alles anders ist und die Lösung einfach wäre: Man müsste nur Schwimm- mit Lesekursen kombinieren.
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