Tellspiele: Bildmagie und Einblick in Seelen
An den Tellspielen 2017 sorgt Regisseur Ueli Bichsel für besondere Bildmagie und berührende Einblicke in die Seelen der Protagonisten aus der Urschweiz. An der Premiere kamen die Emotionen beim Publikum gut an.

Wilhelm Tell: tausendfach analysiert und kommentiert, tausendfach als Drama gespielt – seit 1912 auch von Laiendarstellerinnen und -darstellern in Matten bei Interlaken und jetzt wieder im Jahr 2017. Am Samstag war Premiere. Der grosse Sturm gleichentags hatte kleine Gräben im Naturbühnenboden hinterlassen. Der Auftakt war sonnig: Ein Volk freute sich über die Kühe und Ziegen, die von der Alp wieder ins Dorf zurückkamen.
Dann fielen, musikalisch eingeführt von einem scharfen Sirren, die Tyrannen ins Dorfleben ein, hoch zu Ross und bedrohlich nah zum Publikum. Dieses wurde Teil des wachsenden Widerstands: Das auf die Zuschauertribüne geflohene Volk stimmte sein Mundartfreiheitslied an. Immer wenn es sich im Lauf des Geschehens gegen sinnlose Gewalt nicht wehren konnte, klang das Lied auf. Am Ende des Stücks kündigte es, forte gesungen, die Freude über die erkämpfte Freiheit an.
Missbrauchte Macht
Ueli Bichsel, Regisseur und Autor von «Tell – ein Stück Schweiz», hat am Ablauf des Dramas von Friedrich Schiller wenig geändert. Zu Recht, denn es ist ein Meisterwerk, das im Wechsel von grossen Volksszenen und intimen Einblicken ins Denken und Fühlen der wichtigsten Protagonisten Spannung aufbaut. In die Probenarbeit ist dieses Jahr viel Energie geflossen: Die Darstellerinnen und Darsteller vermitteln stimmig die seelischen Belastungen, denen die Anführer der Urschweizer ausgesetzt sind. Dabei fällt gar nicht besonders auf, dass sie seit letztem Jahr in Mundart sprechen.
Tell, an der Premiere gespielt von Markus Adzic, ist kein Superheld, sondern ein eigenwilliger Bergler mit Herz, ein Typ, der irgendwie in die Region passt. Gewicht erhält in der Inszenierung Rudenz. Er wechselt die Seite von den Bösen zu den Guten, macht aber auch deutlich, dass die böse Seite deshalb böse ist, weil sie ihre Macht missbraucht.

Neue Theaterbilder
Gespielt und nicht nur erzählt werden die versuchte Vergewaltigung des Landvogts Wolfen-schiessen, der Diebstahl des Arbeitstiers von Melchtal und Tells Sprung während des Sturms auf eine Felsplatte. Diese Szene, ganz in blaues Licht getaucht, mit Blitz und Donner, Regen, einem von Menschen gebildeten Wellenmeer und bebender Tribüne, wirkt wie Theater im Theater.
Einen weiteren Schritt zu neuen Formen hat Regisseur Bichsel dieses Jahr getan: Der Freiherr von Attinghausen, seit Jahrzehnten auf einem Sessel zum Sterben auf die Bühne getragen, ist bereits tot. Er ruft die Urschweizer, die sich mit Lichtern versammeln, als lichtumspielter Geist dazu auf, einig zu sein. Aber sonst ist alles eins zu eins: Menschen spielen Menschen, Pferde sind Pferde.
Spielfreudige Pferde
Ein Blick hinter die Kulissen zeigts: Die Pferde, ebenso wie die Kühe, unentbehrlich für ein gelungenes Mattener Tellspiel, haben ihre eigenen Boxen im Gelände. Zum Beispiel der grosse, dunkle Wallach Espoir von Franziska Schlegel. «Die Pferde spielen gern mit, sie fühlen sich gut in einer Gruppe, sie wollen gefallen, und sie spüren, dass etwas Besonderes passiert», sagt die überzeugte Tellspielerin.
Das dürfte für auch für die ganze Crew 2017 mit rund 130 Schauspielerinnen und Schauspielern der Fall sein: Es gelingt ihnen, die Emotionen zu vermitteln, die Bichsel als Hauptziel seiner Inszenierung gesetzt hat. Das kommt an: Das Publikum, darunter Alt-Bundesräte Christoph Blocher und Adolf Ogi sowie Regierungsrat Pierre Alain Schnegg, dankte mit einer stehenden Ovation.

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