Mamablog: Ganztagesbetreuung von SchulkindernTagesschulen? Endlich!
Die Stadt Zürich setzt bald flächendeckend auf Tagesschulen. Warum unsere Autorin diesen überfälligen Schritt begrüsst – und welche offenen Fragen sie hat.

Als wir vor zwölf Jahren aufs Land zogen, hatte ich viele Bedenken. Weit weg von meiner Heimatstadt, den Freunden, meiner Mutter (unserer damals wichtigsten Betreuungsmöglichkeit). Ich befürchtete auch, dass meine Kinder die Multikulti-Schweiz, die wir aus der Stadt kannten, nie erleben würden. Zwischen Kühen und Traktoren, konnte das gut gehen?
Das Einzige, was mir keine Sorgen machte, war die Tagesbetreuung an der Schule, die mein Sohn «im Gjätt usse» besuchen würde. Denn das 800-Seelen-Dorf, in das wir ziehen würden, besass eine Tagesschule. Kinder vom Kindergarten bis zur 6. Primarklasse wurden da von 7 bis 18 Uhr betreut, sofern Bedarf vorhanden war. Und der Spass war erst noch massiv günstiger als jede Krippe, die ich kannte. Hallelujah!
So kam es, dass der «Kleine» vom ersten Tag auf dem Dorf drei Mal die Woche in die Tagesschule ging. Über Mittag und nach der Schule. Das Essen war abwechslungsreich, gesund und lustig, weil er mit seinen Kumpels essen durfte. Nach der Schule machten sie zusammen Hausaufgaben und danach konnten sie «töggelen», Fussball spielen oder lesen. Das war überhaupt sehr wichtig, dass die Kinder sich auch ausruhen konnten; unser Sohn war kein Haudegen und brauchte zwischendurch seine Ruhe.
Ein normaler Arbeitsalltag
Und ich? In der Zwischenzeit baute ich mir mein berufliches Leben wieder auf. Ich konnte ins Büro gehen, Meetings wahrnehmen, Kollegen und Kolleginnen treffen. Anstatt nach drei Stunden Arbeit schon wieder nach Hause zu rennen, um das Mittagessen zu kochen, ging ich gemütlich mit Gleichgesinnten essen oder konnte durcharbeiten, so, dass ich nicht auf den Abend warten musste, bis die Kinder wieder im Bett waren. Kurz: Ich konnte einem normalen Arbeitsalltag nachgehen. Wie Papa auch. Für uns berufstätigen Mütter im Dorf war das eine enorme Hilfe, um im Job nicht wegen der Kinder weg vom Fenster zu sein.
Wenn ich mit meinen Freundinnen, die im Ausland leben, über die Problematik der Tagesbetreuung an Schweizer Schulen diskutierte, sahen die mich an, als käme ich vom Mond. Und so fühlte ich mich auch. Wie kann es sein, dass Kinder im 21. Jahrhundert immer noch heim zu Mama kommen, um zu essen? Denn seien wir ehrlich, gerade auf dem Land sind Väter, die für die Kinder zu Hause bleiben, eher eine Seltenheit. Das höchste der Gefühle ist ein «Papitag» und in vielen Fällen hat Mama da vorgekocht.
Wovor hat man Angst?
Dass jetzt ausgerechnet Zürich Vorreiterin sein will mit den Tagesschulen, ist zu begrüssen. Am Wochenende wurde darüber abgestimmt, ob Tagesschulen auf städtischem Gebiet flächendeckend eingeführt werden sollen. Wieso sich im Vorfeld einige Eltern dagegen wehrten, ist mir jedoch ein Rätsel. Wovor hat man denn Angst? Kontrollverlust? Dem Kind könnte das Essen nicht schmecken? Dass das Kind die Hausaufgaben ohne elterliche Hilfe macht? Oder gäbe es dann einfach weniger Ausreden, um nicht arbeiten zu gehen?
Wir Eltern wussten nicht weniger über das Leben unserer Sprösslinge Bescheid, als wenn sie jeden Mittag zu Hause gegessen hätten.
Ich habe mit Müttern gesprochen (Väter scheinen weniger Probleme mit einer Ganztagesbetreuung zu haben), die einfach nicht wollen, dass ihre Kinder den ganzen Tag weg sind. Unter anderem, weil sie hören wollen, was morgens in der Schule los war, wie die Prüfung lief, welche Hausaufgaben gemacht werden müssen und wie es mit den Schulkameraden und -kameradinnen geht. Ich kann sie beruhigen. Obwohl meine Kinder den ganzen Tag in der Schule waren, haben wir immer über alles gesprochen, sobald sie nach Hause kamen. Wir Eltern wussten nicht weniger über das Leben unserer Sprösslinge Bescheid, als wenn sie jeden Mittag zu Hause gegessen hätten. Im Gegenteil, denn wenn wir uns abends trafen, setzten wir uns erst recht zusammen und diskutierten unsere jeweiligen Tage. In aller Ruhe. Sorgen, Leiden, Freuden, das volle Programm. Warum auch nicht?
Zürich hat entschieden: Bis zum Schuljahr 2030/2031 werden in Zürich flächendeckend Tagesschulen eingeführt. Ein erster Schritt wurde endlich gemacht. Und ich will nicht undankbar erscheinen, aber wie die berufliche Vereinbarung bei Betreuungszeiten zwischen 8 und 16 Uhr wirklich verbessert wird, ist mir persönlich ein Rätsel. Oder wie viele Berufstätige kennen Sie, die lediglich von 8.30 bis 15.30 Uhr arbeiten? Ich praktisch keine.
Wie beurteilen Sie Modelle wie die Tagesschule, liebe Leserinnen und Leser? Diskutieren Sie mit.
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