Entkoppelt von der Realität
Der Churer Bischof verteidigt das römische Nein zu Pille und Kondom. Verhütung gehört für ihn zur «Kultur des Todes».

1968, im Jahr der politischen und sexuellen Revolution, kam es auch zu einer Konterrevolution. Als die Studenten mit den Autoritäten brachen und die Blumenkinder mit dem Slogan «Make love, not war» die freie Liebe propagierten, ertönte aus dem Vatikan so überraschend wie bestimmt: Halt! Ihr seid auf dem falschen Weg! Papst Paul VI. dekretierte am 25. Juli 1968 mit der Enzyklika «Humanae vitae» sein klares Nein zu jeder Form der künstlichen Empfängnisverhütung.
Wenig erstaunlich, gehört der Churer Bischof Vitus Huonder zu den Ersten, die in einem Hirtenbrief 50 Jahre danach die umstrittene Lehre in Erinnerung rufen: Eheliche Liebe sei ihrem Wesen nach auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommen ausgerichtet, heisst es im Schreiben des Bischofs. Folglich ist die Ehe der einzig legitime Ort der Sexualität. Und hier sei einzig die natürliche Empfängnisregelung erlaubt. Huonders Bischofsvikar Christoph Casetti propagiert diese Methode seit Jahrzehnten.
Für den Churer Bischof gehört Verhütung zur Kultur des Todes. Die Entkoppelung von Sexualität und Fortpflanzung führe zur Destabilisierung von Ehe und Familie. Männer respektierten Frauen nicht mehr als Person, sondern sähen in ihr ein Sexobjekt. Dank der liberalen Bevölkerungspolitik sei heute die demografische Lage besorgniserregend.
Die grösste Autoritätskrise
Huonder predigt den Gläubigen, was die wenigsten hören wollen. Das weiss der Bischof. Er geht mit Hans Küng einig, dass «Humanae vitae» die grösste Autoritätskrise in der Kirche bewirkt hat. «Mit dieser Enzyklika hat die katholische Kirche die Macht über das Gewissen der Gläubigen verloren», so Küng. Tatsächlich war der innerkirchliche Widerstand gegen Pillen-Paul beispiellos. Selbst nationale Bischofskonferenzen wie die deutsche oder die schweizerische begehrten auf und überliessen den Gebrauch von Kontrazeptiva dem Gewissen der Ehepaare.
Im Anschluss an «Humanae vitae» wurden Hunderte von ungehorsamen Lehrern und Lehrerinnen an katholischen Universitäten, Seminaren und kirchlichen Schulen entlassen. Da halfen auch die Wissenschaftler und Nobelpreisträger nichts, welche die kirchlich verurteilte Geburtenregelung mit Blick auf die Überbevölkerung als verantwortungslos anprangerten.
Kondom darf «ausnahmsweise» benutzt werden
Feministinnen beklagen, die von der Enzyklika postulierte Kalendermethode bürde der Frau allein die Verantwortung für die Elternschaft auf. Frauen aber waren vom Vatikan nicht um ihre Meinung gefragt worden. Mit dem Aufkommen von Aids wurde das Kondomverbot noch gefährlicher. Papst Benedikt merkte dann an, dass ein Kondom allenfalls und ausnahmsweise benutzt werden dürfe, um eine Ansteckung bei einem Prostituierten zu verhindern.
Der Hirtenbrief aus Chur kommt nicht überraschend. Er fügt sich nahtlos ein in Huonders reaktionäre Kirchenpolitik. Offenbar will er den kritischen Beiträgen zu «Humanae vitae» anlässlich des 50. Jahrestages zuvorkommen. Wohl fürchtet er, dass Franziskus das Verbot einen Spalt breit lockern könnte, soll dieser doch eine Kommission zwecks Studium der Enzyklika eingesetzt haben. Doch ist weder zu hoffen noch zu befürchten, dass Franziskus Abstriche machen wird. Neulich lobte er Paul VI., weil sich dieser nicht dem Mehrheitswillen gebeugt, sondern einen Kulturbruch vollzogen habe. 2014 hat Franziskus Paul VI. seliggesprochen. Ende Oktober will er ihn heiligsprechen.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch