Stadt des Geldadels und der Segler
Newport ist berühmt für prunkvolle Sommerresidenzen und alte Traditionen. Doch Rhode Island, der kleinste US-Bundesstaat, hat auch andere Seiten.
Newport, der Sommerort der Superreichen im Bundesstaat Rhode Island an der Ostküste der USA, gilt als snobby. Und zwar dermassen, dass man das Wort «newporty» als Synonym für versnobt ins Leben gerufen hat. In Newport zeigt man, was man hat: Die kolossalsten Villen Neuenglands reihen sich entlang der Küste. Der fast sechs Kilometer lange, schlicht grossartige Cliff Walk führt vorbei an 64 herrschaftlichen Anwesen. Dichte Hecken, hohe Zäune, «Bad Dogs» warnen Schilder – man solle doch bitte die Privatsphäre der Besitzer respektieren. Trotzdem versucht jeder, einen Blick auf die protzigen Häuser oder, noch besser, deren privilegierte Bewohner zu erhaschen.
«The Great Gatsby», der Literaturklassiker von F. Scott Fitzgerald, wurde 1974 in dieser prächtigen Kulisse verfilmt. Die Geschichte des schillernden Dandys spielt eigentlich auf Long Island NY, passt aber hervorragend in diese Gegend. Bereits in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, die nach den Worten von Mark Twain als «vergoldetes» Zeitalter in die amerikanische Geschichte eingingen, machten neureiche Industrielle die spektakuläre Felsküste und die Sandstrände Newports zu «America's First Resort». Steinreiche New Yorker Familien wie die Rockefellers und Vanderbilts bauten sich hier ihre Sommerresidenzen. Die «Cottages», wie sie diese bescheiden nannten, sind in Wahrheit mondäne Paläste, die manches europäische Schloss in den Schatten stellen.
Newport zählt 24'000 Einwohner, im Sommer ein Zehnfaches. Zwischen Mai und Oktober ist das Hafenstädtchen immer busy, Juli und August herrscht Chaos: Im Schritttempo pflügen die überdimensionierten Autos durch die engen Strassen, Parkplätze sind rar. Wir buchen die 90-minütige Viking Trolley Tour – Guide Jeff verspricht «juicy stories about the rich and famous». Unser roter Trolleybus fährt entlang des Ocean Drive, Jeff zeigt auf ein Anwesen in der Ferne: Hier habe John F. Kennedy 1953 seine Jackie Bouvier geheiratet – ein gesellschaftliches Ereignis von internationaler Bedeutung. Hier hätte Kennedy auch sein Leben als Pensionär verbringen wollen. Wir erfahren: Die Sandstrände sind privat, bloss ein Public Beach existiert, 20 Dollar kostet dort alleine das Parkieren.

Und jetzt erzählt Jeff von den Marotten der Villenbesitzer: vom exzentrischen Millionär, der so vernarrt in seine Pferde war, dass er die Tiere im Parterre seines Palastes einquartierte. Von der nicht weniger eigenartigen Dame, welche die Gesellschaft von Hunden bevorzugte. Diese in Frack und Abendrobe steckte, mit ihnen rauschende Gardenpartys feierte. Nächster Halt: The Breakers – das wohl prunkvollste aller «Cottages». Stattliche 29 Dollar kostet der Eintritt ins Reich der Familie Vanderbilt. Manche der Residenzen können heute besichtigt werden, 5000 Besucher werden im Sommer täglich durch die Villen geschleust.
Mit Marmor und Gold den Nachbar übertrumpfen
Cornelius Vanderbilt machte sein Vermögen erst als Reeder, dann als Eisenbahnunternehmer – in seiner Freizeit unterrichtete er Sonntagsschule. Anderson Cooper, der bekannte CNN-Anchor, stammt übrigens aus der Vanderbilt-Dynastie. Seine Mutter Gloria Vanderbilt, eine Schauspielerin, verbrachte ihre Kindheit im The Breakers. Eine Audiotour in allen Sprachen führt durch den Palast mit 70 Zimmern im Stil der italienischen Renaissance: weisser Marmor, gigantische Kronleuchter, Gold und Alabaster, Imitationen berühmter Skulpturen. Nicht zuletzt, um den Nachbarn zu überflügeln oder zumindest mit ihm gleichzuziehen: «Keeping up with the Joneses», so der gängige Spruch. Prunkvolle Zeugnisse vergangener Tage – too much für unseren Geschmack.
Bekannt ist Newport auch als Heimat des America's Cup, der renommiertesten Trophäe im Segelsport. «Sailing Capitol of the World» nennt sich das Städtchen ganz unbescheiden. Wir haben Glück, in der Ferne sind einige legendäre J-Klasse-Jachten, mit denen einst die älteste Segelregatta ausgetragen wurde, auszumachen. Der Schiffbau hat hier eine lange Tradition. Noch heute lernen Lehrlinge aus aller Welt das Handwerk des Holzbootbaus in den riesigen Hallen der IYRS (School of Technology and Trades) mitten im Ort.
Im Hafenbecken dümpeln die modernsten Mega-Jachten, Statussymbole des Geldadels, vor sich hin. Manche behaupten, in der idyllischen Narangansett Bay herrsche die grösste Dichte an Segelbooten weltweit. Shops für Segelmode dominieren die Einkaufsstrasse, die Marke North Sails stammt aus dem nahen Portsmouth. Der Newport-Besucher gibt sich gern als Jachtbesitzer aus, trägt Poloshirt, Pulli über den Schultern, weisse Hosen, Sebagos an den Füssen. Braungebrannte ältere Herren mit etwas zu langem, nicht mehr so dichtem Haar. Manch eine Frau flaniert aufgetakelt dem Jachthafen entlang.
Das erste US-Open im Tennis
Lifestyle wird auch im Hall of Fame Tennis Club zelebriert: All-White lautet der Dresscode – aus Respekt der Tradition gegenüber. Allerhöchstens bei der Mütze drückt man ein Auge zu, diese darf inzwischen auch rosa oder hellgelb sein. Stöhnen ist selbstverständlich verpönt, nur das Geschrei der Möwen ist zu hören. In diesem ehrwürdigen Stadion mit der dunkelgrünen Holztribüne und den blühenden Geranien auf den Balustraden wurde 1881 das erste US-Open der Männer durchgeführt. Jeweils direkt nach Wimbledon und ebenfalls auf Gras wird heute das ATP-Turnier von Newport gespielt.
Auch Amateure können auf einem der 13 perfekt getrimmten Rasenplätze Bälle schlagen. Vorausgesetzt, man ist bereit, für eine Stunde 120 Dollar hinzublättern. Clubmitglieder zahlen übrigens 1600 Dollar pro Jahr, natürlich wird längst nicht jeder akzeptiert. An diesem Morgen liefern sich ältere Herrschaften ein Doppel, daneben lassen ein paar rich kids den Trainer verzweifeln.
Das Tennismuseum, die Hall of Fame, zieht Tennisfans in Scharen an. Roger Federer ist übrigens noch nicht aufgenommen – diese Ehre wird den Tennisstars erst fünf Jahre nach Ende der Karriere zuteil. Dennoch, unser Roger ist der absolute Liebling der Amerikaner: «He is just great», sagt der Platzwart. Und die Ladys auf dem Court schmelzen dahin: «He is so handsome, such a gentleman.» Immerhin sind seine Originalkleider von Wimbledon 2009 hinter Glas zu bewundern: Das elegante Outfit in Weiss und Gold, in dem er Finalgegner Andy Roddick (USA) gebodigt hatte. Ausserdem erzählt Roger Federer im 3-D-Film «The RF Experience» seine Erfolgsgeschichte, beste Werbung auch für die Schweiz.
Passend zum feinen Newport ist die Übernachtung im Francis Malbone House. Die Villa aus dem Jahr 1758 ist mit der höchsten Auszeichnung, dem Five Star Diamond Award, gekrönt. Im Sommer kostet die Nacht in einem der 20 antik eingerichteten Zimmer ab 325 Dollar, und es müssten mindestens drei Nächte gebucht werden, sagt Besitzer Will Dewey, der ebenfalls Lacoste-Shirt zu weissen Hosen trägt. Gastgeberin Anne Maria Duprey führt durch das exklusive B&B, die vielen Salons mit Cheminée, wo man den Afternoon Tea oder ein Glas Wein geniesse, «just like in Europe». Die Europäer würden Newport übrigens vor allem im Herbst besuchen. Im Indian Summer, wenn sich die Blätter bunt verfärbten, was hier meist erst im November der Fall sei.
Im Ocean State isst man Seafood
Woher die Gastgeberin mit dem flammend roten Haar, der hellen Haut, den blauen Augen stammt, ist unschwer zu erkennen. Viele Iren haben sich im 18. und 19. Jahrhundert in Neuengland eine Existenz aufgebaut. Man ist stolz auf die irische Herkunft, pflegt diese bei einem Guinness in den zahlreichen Irish Pubs, wo am TV Rugby statt American Football läuft.
Anne erzählt von der Vergangenheit des Hauses, als der Eigentümer afrikanische Sklaven durch einen Tunnel vom Hafen ins Haus geschmuggelt hatte. Wie viele andere Bürger der florierenden Handelsstadt verdanke er sein Vermögen auch der Sklaverei. Uns ist aufgefallen, dass man in Newport keine dunkelhäutigen Menschen sieht. Rhode Island zählt etwa eine Million Einwohner, davon sind 81 Prozent Weisse, knapp 6 Prozent Afroamerikaner. Das war nicht immer so: Zur Zeit der Gründung der Vereinigten Staaten lebten mehrere Tausend Afrikaner in Newport, sie machten 20 Prozent der Bevölkerung aus. Jede dritte Familie besass mindestens einen Sklaven. Im ältesten Friedhof der Stadt, dem Common Ground, entdeckt man das Colonial-African-American-Gräberfeld. Verwitterte Steine mit Inschriften wie: «In Memory of Abraham – Negro Servant of Mr. Adam Banner» oder einfach nur «John, owned by Mr. Cook».
Angesprochen auf die heute fast ausschliesslich weisse Bevölkerung spricht Anne offen von Rassismus. Die Mehrheit im Staate Rhode Island hat bei den Präsidentschaftswahlen zwar für Hillary Clinton und somit gegen Donald Trump gestimmt. Aber, so Anne: Die Reichen profitieren von Trumps Politik. Sie spricht von «silent Trump-supporters», dazu stehen würde man nicht.
Providence – eine «foodie city»
Rhode Island ist der kleinste Bundesstaat der USA, etwa so gross wie der Kanton Tessin. «Ocean State» lautet sein Übername, die Nähe zum Atlantik prägt das Leben, wer Seafood mag, kommt hier nicht zu kurz. Bloss eine Stunde mit der Fähre oder 45 Minuten mit dem Auto trennen Newport und Providence. Zwei Welten. Dort der snobby Sommerort, hier die geschäftige 180'000 Einwohner zählende Hauptstadt. Eine der ältesten Städte des Landes – mit einer jungen Bevölkerung, mit vielen Colleges und Universitäten. Skateboarder nehmen den ehrwürdigen Memorial Park in Beschlag, springen wagemutig metertief vom Kriegerdenkmal runter.
Providence rühmt sich, eine «foodie city» zu sein, Hotspot für alle, die gern gut essen. Das Reisemagazin «Travel and Leisure» wählt Providence regelmässig auf die vordersten Plätze der kulinarisch interessantesten US-Städte. Das Stadtviertel Federal Hill zählt im Land, das über alles Ranglisten führt, zu den fünf besten «Little Italys». Alle Tische im grün, weiss und rot dekorierten Quartier sind besetzt – Pizza «Italian style» ist der Renner im Ocean State. Frische Austern und Lobster Rolls gibts schliesslich jeden Tag.
Diese Reise wurde unterstützt von Discover New England.
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