Sprintender Sprössling in Hochform
Verlorener Sohn? Von wegen: Christopher Taylor lässt dem Hype um sein 2014 erschienenes Debütalbum unter dem Pseudonym Sohn einen Zweitling folgen, der auf faszinierende Weise moderne Sounds und zeitlos souligen Gesang mischt.

Stillstehen ist seine Sache nicht. Sprinten schon viel eher. Die letzten zwei Jahre bezeichnet Christopher Taylor als «Wirbelwindreise» voller Entdeckungen, Erfahrungen, Veränderungen. Ein Leben mit 100 Meilen pro Stunde – hin zu neuen Kontinenten, neuer Liebe, hin zur Hochzeit, zum ersten Kind.
Und wenn der englische Musiker, Komponist und Produzent jetzt in gewisser Weise angekommen ist und sein neues Album veröffentlicht, dann nennt er dieses bezeichnenderweise «Rennen». Während Taylor also munter weiterwirbelt, halten wir einen Moment inne und blicken zurück.
Gut zehn Jahre ist es her, dass Taylor in der britischen Musikszene auftauchte und mit dem Projekt Trouble over Tokyo ein erstes Mal für (ein bisschen) Furore sorgte. War es ursprünglich als Alternative-Rock-Band gegründet worden, liess Taylor bald Electro und R 'n' B einfliessen.
Fakt ist: Genreschubladen werden Sohn nicht gerecht.
2012 zog er nach Wien und startete unter dem Namen Sohn neu. Das Wort klinge weich, sei aber gleichzeitig stark, begründete Taylor einst die Namenswahl. Kurz vor dem ersten Single-Release habe er es seinem Manager vorgeschlagen – dieser habe geantwortet: «Ich liebe es – was heisst es?» Eine Frage, die sich bald diverse des Deutschen nicht mächtige Musikfans gestellt haben dürften.
Denn mit dem Debüt «Tremors» sorgte Sohn für einige Erschütterungen in der Popwelt. Songs wie «Bloodflows» oder das treibende «Artifice» sorgten für einen Hype, den der Musiker selber geschickt anheizte, indem er sich rar machte. Kaum Infos waren vorerst über ihn verfügbar, bloss schemenhafte Fotos im Umlauf.
«Conrad» – das Meisterstück
Jetzt ist er also wieder da, lässt das Interesse an der deutschen Sprache nicht nur auf das Pseudonym, sondern auch auf den Albumtitel abfärben – und gibt mittlerweile mehr von sich preis. Etwa, dass er in den letzten zwei Jahren erwachsener geworden sei: «Da ist viel mehr Selbstvertrauen und Überzeugung hinter diesen Songs.»
Tatsächlich schafft es Taylor sofort, eine Sogwirkung zu erzielen. Mal klackt und schnippt es, mal wabern Synthesizer, mal erklingt ein elektronisches Geflüster und Gewisper. In «Hard Liquor» beginnt der anfänglich bloss klopfende Minimalbeat plötzlich zu laufen, zu rennen. Im Titelstück lässt Sohn die Beats gleich weg, unterlegt den melancholischen (Falsett-)Gesang mit Piano und Synthesizern.
Tatsächlich schafft es Taylor sofort, eine Sogwirkung zu erzielen.
In «Harbour» bleibt vorerst nur noch die Stimme, die flehend intoniert: «Harbour, harbour, save me from the open sea». Bis ein Hintergrundsummen immer lauter wird, abrupt abbricht, bald einem wahren Soundsturm Platz macht. Und dann ist da «Conrad». Mit seinem unwiderstehlichen Mitnick-Klickbeat, den atmosphärischen Synthesizerflächen, dem beseelten Gesang, den eindringlichen Worten zum aktuellen politischen Geschehen: «I can feel it coming, we can never go back». Es ist Sohns Meisterstück.
Ist das alles nun Electronica? Ambient? Post-Dubstep? Fakt ist: Genreschubladen werden Sohn nicht gerecht. Die knisternde Spannung in seinen Songs entsteht durch die Mischung aus zeitlos souligem Gesang und ausgeklügelten modernen Sounds, die Raum lassen für Stimmungen, Melodien, Rhythmen. So schafft Taylor auf «Rennen» einfallsreiche und nuancierte Popmusik. Die Wirbelwindreise geht weiter. Und für die Zuhörenden gilt: Am besten einfach mitrennen!
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