Das Argument gegen gendergerechte Sprache ist immer dasselbe: das generische Maskulinum. Es meint Pluralformen wie «die Schweizer» und «die Rentner», Bezeichnungen also, die nicht nur die männlichen Schweizer und Rentner umfassen sollen, sondern alle – auch die Schweizerinnen und Rentnerinnen.
Kollege Martin Ebel hat diese sprachwissenschaftliche Erklärung zur Regel erhoben. Hinter dem Wunsch, explizit beide Geschlechter zu nennen, etwa «Schweizerinnen und Schweizer» zu schreiben, sieht er eine «politisch-ideologische Motivation». Sie gehe von dem «blossen Gefühl» aus, dass Frauen vom «neutralen Plural» nicht mitgemeint würden. Also: Objektive Wissenschaft schlägt die subjektive Emotion.
Aber genau dieses Gefühl bestätigt Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin wissenschaftlich. 20 Jahre Forschung würden zeigen, dass «das generische Maskulinum als Maskulinum interpretiert wird und nicht generisch», sagte er unlängst in einem Interview. «Das führt dazu, dass Frauen sich tatsächlich sehr häufig unbewusst nicht mitgemeint fühlen, obwohl sie es vielleicht sind.»
Die Alltagssprache gehört uns allen
Das generische Maskulinum ist selbst in der Sprachwissenschaft umstritten. Und Stefanowitschs Zitat zeigt, dass die Empfindung von Sprache nicht zu trennen ist. Das ist vielleicht das beste Argument für gendergerechtes Schreiben: Sprache vermag Gefühle zu erfassen und sie auszulösen. Es ist ihre eigentliche Kraft.
Warum sonst haben wir Lieblingsbücher, Lieblingsgedichte, Lieblingssongs? Sicher auch, weil dort beschriebene Lebenswelten die unseren berühren. Weil darin Sätze stehen, in denen wir uns wiedererkennen. Weil wir Formulierungen finden, für die wir bislang keine Worte hatten, sondern nur ein dumpfes Gefühl. Weil wir uns angesprochen fühlen.
Dies sollte die Alltagssprache auch tun. Sie gehört uns allen, sie steht in unserem Dienst. Dass es «Schweizerinnen» und «Rentnerinnen» gibt, bedeutet, dass wir über sprachliche Mittel verfügen, um uns präzise auszudrücken. Oder wie sehen Sie das, liebe Leserinnen?*
*Leser sind mitgemeint.
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Sprache ist Gefühl
Gendergerechte Sprache beruht auf übertriebener Empfindsamkeit? Genau das spricht für sie.