Andreas Hänni: «Der SCB wurde unter Wert geschlagen»
Am Freitag gastiert Lausanne beim Meister. Die Berner liegen unter dem Strich. Gehören sie dort auch hin? Andreas Hänni liefert in Bezug auf die SCB-Leistungen eine zweite Perspektive und überraschende Ergebnisse.

Es gibt verschiedene Wege, die Leistungen einer Mannschaft zu bewerten. Und letztlich zählt, was in der Tabelle steht. Der SC Bern liegt vor der Doppelrunde gegen Lausanne (am Freitag) und in Freiburg (am Samstag) auf Rang 9, somit knapp unter dem Strich und weit unter den Erwartungen.
Bei der Beurteilung bietet der frühere SCB-Meisterspieler Andreas Hänni seit Jahren «eine zweite Perspektive» an, wie er sagt. Sie basiert rein auf Daten, berechnet Wahrscheinlichkeiten (siehe Zweittext unten). Zentraler Wert in Hännis Arbeit sind die erwarteten Tore aufgrund der Leistung.
Hänni liefert drei Referenzpunkte. Eine Mannschaft benötigt 47,6 Prozent der zu erwartenden Tore für die Teilnahme am Playoff. Soll heissen: Pro 100 Tore für die Mannschaft und deren Gegner erwartet man deren 47,6 für das untersuchte Team und 52,4 für den Gegner. 50 Prozent (gleichbedeutend mit einem ausgeglichenen Torverhältnis) reichen normalerweise für 75Punkte und Rang 6, 58 Prozent für den Qualifikationssieg.
Anhand der gesammelten Daten nimmt Hänni zu fünf SCB-Thesen Stellung:
1.Der SCB ist in der Tabelle dort, wo er hingehört
In der Vorsaison waren die Berner in der ersten Saisonhälfte unglaublich stark (61 Prozent zu erwartende Tore). Nun sind sie pures Mittelmass: Ihr Wert (50Prozent) ist allerdings höher respektive besser als ihr Rang. Hännis Schlüsselaussage hierzu: «Der SCB wurde bisher unter Wert geschlagen.»
2.Mit Tomi Karhunen im Tor spielt die Mannschaft besser
Hänni sagt: «Das trifft nicht zu. Die Leistungen der Mannschaft sind konstant und unverändert.» Jedoch haben sich die Zahlen auf der Torhüterposition geändert. «Karhunen erreicht Topwerte.»
3.Der SCB hätte bei den Goalies früher reagieren müssen
«Ich weiss, dass die Torhüter in Bern ein fettes Thema sind», sagt Hänni. «Tatsächlich war das ‹Goaltending› bis Ende November weniger stark. Aber: Dies war typisch für sämtliche Teams mit neuen Goalies. Genoni in Zug, Stephan in Lausanne, Zurkirchen in Lugano, Schlegel in Bern: Alle hatten ähnlich tiefe Werte.» Die Goalie-Leistung wird etwa gemessen an Distanz und Winkel der Abschlüsse, der Schusslinien (freie Sicht oder blockiert). Hänni sagt: «Hast du als Goalie eine neue Abwehr, brauchst du Zeit, bis du dem Drumherum vertraust. Erst dann kannst du dich zu 100 Prozent auf deine Arbeit konzentrieren. Selbstverständlich kommen menschliche Faktoren wie Vertrauen, sich wohlfühlen und mentale Stärke dazu. Aber meine Perspektive ist rein datenbasiert.»
4.Die Defensivarbeit der Berner ist im Vergleich zur Vorsaison klar schlechter
Nein, die Differenz ist minim. Bern lässt ein bisschen mehr Chancen zu. Der relevante Unterschied bezieht sich aber auf den Angriff. «Die Berner kreieren klar weniger als in der Vorsaison», sagt Hänni. Was zudem auffällt: Der SCB spielt deutlich seltener Powerplay und häufiger Boxplay.
5. Jan Mursak (nur 4 Saisontore) fällt bei den Ausländern ab
Geht es um den Einfluss eines Spielers auf die Teamleistung, wird analysiert, was passiert, wenn der Spieler bei 5 gegen 5 auf dem Eis steht – und was passiert, wenn er nicht auf dem Eis ist. In dieser Hinsicht erreicht Mursak gemäss Hänni «absolute Topwerte. Steht Mursak auf dem Eis, ist die Leistung des SCB um 7 Prozent besser.» Der Slowene ist im Team gar der Stürmer mit dem besten Wert (56,2 Prozent).
Von den Verteidigern erreicht Calle Andersson den Topwert (55,2). Die stärkste Linie ist jene mit Moser, Arcobello, Rüfenacht (60,5). Steht dieses Trio auf dem Eis, erwartet man pro 100 Tore für Bern und den Gegner deren 60,5 für den SCB und 39,5 für den Gegner. Das statistisch beste Abwehrpaar bilden Blum und Krueger.
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Weshalb die erzielten Tore bei der Analyse keine Rolle spielen dürfen
Andreas Hänni hat als Verteidiger mit Bern und mit Lugano zwei Meistertitel gewonnen. Im Sottoceneri führte er zudem eine Bar. Und so passt dieses Beispiel ganz gut, welches Hänni erzählt: «Eine Bar in Lugano, Sonntagnachmittag, die Boccia-Spieler sind versammelt, gucken Serie-A-Fussball, warten auf dieses Tor. Inbrünstig, sehnsüchtig. Wenn es sein muss, nehmen sie das Glas Merlot von der linken in die rechte Hand – aus Aberglauben, nur damit endlich dieses Tor fällt.»
Hänni spricht von einer «absoluten Fixiertheit auf Tore». Er nimmt diese auch im Eishockey wahr. Seit einigen Jahren arbeitet der Ex-Profi als Datenanalyst, führt die Firma 49ing. Er sagt: «Man kann Tore nicht mit Toren analysieren, das ist ein Zirkelschluss. In unserer Arbeit beschränken wir uns auf das, was analysierbar ist – und verzichten als Erstes auf die Tore.»
Hänni rechnet vor: Ein Drittel aller Schussversuche ist verantwortlich für die Hälfte aller Tore. Diese Schüsse werden aus sogenannt «gefährlichen Situationen» abgegeben, in denen die Wahrscheinlichkeit 9 bis 25 Prozent beträgt, dass daraus ein Tor resultieren wird. Die verbleibenden zwei Drittel aller Schussversuche führen zur anderen Hälfte der Tore. Diese Schüsse werden aus Situationen und Positionen abgegeben, die nicht zur Kategorie «gute Torchance» zählen. Die Wahrscheinlichkeit ist 9 Prozent oder tiefer, dass ein Tor resultieren wird. Aus diesem Grund gelten Tore in der Datenanalyse als «random event»; als Ereignis, welches ebenso zufällig wie selten auftritt und deshalb zu wenig zuverlässige Daten liefert.
Zu erwartende Tore im Fokus
Hänni sagt: «30 Prozent von dem, was in einem Spiel passiert, ist Zufall. Wir konzentrieren uns anhand der Daten auf die restlichen 70 Prozent und setzen bei der Auswertung und Interpretation auf Artifical Intelligence; auf standardisierte Algorithmen, die entsprechende Muster erkennen.» Analysiert werden etwa Winkel und Distanz der Schüsse (ein Schuss von der blauen Linie und einer aus dem Slot besitzen unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten), das offensive und defensive Verhalten der Spieler. Situation um Situation wird berechnet und aggregiert. Dies führt zu einem mathematischen Wert, der im Normalfall zu erwarten ist. Im Zentrum stehen «expected goals», zu erwartende Tore.
Aus einem Spiel sammelt Hännis Firma 5000 bis 6000 Daten. Der 41 Jahre alte Ex-Verteidiger besitzt Mandate beim Verband Swiss Ice Hockey, bei den TV-Sendern Mysports und RSI, bei der National League sowie bei einigen Clubs. Sein Datenmaterial ist nicht öffentlich und für die Kunden von hohem Wert.
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