Wird es irgendwann besser?
Warum wird der Betrug bei vielen Stars toleriert? Und weshalb verliert die Schweiz immer gegen Schweden? Antworten zum Sportjahr 2018.

Bänz Friedli, König Fussball bringt uns mit seinen hässlichen Seiten inner- und ausserhalb des Spielfelds immer mehr in ein Dilemma. Bei welcher Sportart können wir mit gutem Gewissen mitfiebern? Der erste Gedanke ist, dass wir Fussballfans eigentlich geübt darin sind, solche Dilemmas zu balancieren. Wer sich jetzt abwendet, hätte sich schon 1978 abwenden müssen, als Fifa und Militärjunta dafür sorgten, dass Argentinien Weltmeister wurde. Oder schon 1938, als Italien dank Mussolini siegte. Es gibt zwei Alternativen. Erstens: Frauenfussball. Die Gleichstellung fehlt, das Ungleichgewicht zu den Männern ist himmelschreiend. Was aber gleichzeitig bewirkt, dass der Frauenfussball noch nicht so vergiftet ist. Ich sage bewusst «noch nicht». Zweitens: Gehen Sie selber schutte – oder sonst einem Sport nach. Diese Haltung hat sich bei mir in den letzten Monaten verdichtet: Sport ist grauenhaft und zugleich das Schönste der Welt, lebenswichtig. Bei mir: Snowboarden. Machen Sie das, was Ihnen Freude macht, sei es Skateboard, Lacrosse oder Ultimate Frisbee. Mein Plädoyer: Leistungssport ist das Schlimmste, Amateursport das Grösste. Bänz Friedli ist Autor und Kabarettist
Matthias Kamber, wird es bezüglich Doping irgendwann besser?
Ja, es wird besser. Die Athleten-Proteste wegen der umstrittenen Wiederanerkennung Russlands werden stärker. Führende Anti-Doping-Agenturen erhöhen den Druck auf die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), neue Führungsprinzipien einzuführen. Einige Länder frieren ihre finanziellen Beiträge bis zu deren Umsetzung ein. 2019 wird eine neue Wada-Präsidentin gewählt, welche die Arbeit auf die Dopingbekämpfung und nicht auf die Bürokratie fokussiert. Das Internationale Olympische Komitee (IOK) unterstützt dies und beruft unabhängige Vertrauenspersonen in die Steuerungsgremien der Wada. Russland wird wieder ausgeschlossen: die Nachanalyse der Proben des Moskauer Labors ergeben keine positiven Resultate (die Proben wurden ja auch entsprechend «behandelt»), aber es kann nachgewiesen werden, dass die Labordaten manipuliert wurden: Die Codierungen dafür entsprachen den fortlaufenden Passnummern der involvierten russischen Agenten. Sind meine Prognosen alle erfunden? Ist das Jahresende nicht auch ideal für neue Vorsätze und Wünsche?Matthias Kamber ist unabhängiger Anti-Doping-Experte
Sport ist grauenhaft und zugleich das Schönste der Welt
Helmut Digel, ist bei Fehlverhalten die Begründung «Sport ist das Spiegelbild der Gesellschaft» haltbar, oder müssen an den Sport höhere Ansprüche gestellt werden?
Dieses Argument, das vor allem Sportfunktionäre verwenden, ist mehr als ärgerlich. Sie nutzen es als Entschuldigung für ihr eigenes Fehlverhalten, weil sie die klassische Idee des modernen Sports nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Der Wettkampfsport ist eine ausgesprochene Eigenwelt, in der Fair Play das höchste Gut darstellt und in der nicht dieselben Regeln gelten wie in anderen Lebensbereichen. Ich nenne ein Beispiel: Der Medikamentenmissbrauch wird in der Gesellschaft toleriert, weil die oder der Betreffende nur sich selber schadet. Doping ist zwar auch Medikamentenmissbrauch, kann aber nicht akzeptiert werden, weil durch die Einnahme leistungsfördernder Substanzen gegen gemeinsam festgelegte und schriftlich niedergelegte Regeln verstossen wird. Im Sport müssen schlicht ethisch höhere Massstäbe gelten.Helmut Digel ist Sportsoziologe und langjähriger Sportfunktionär
Michael Schaad, welcher Vogel ähnelt Neymar?
Natürlich fällt einem da sofort die Schwalbe ein, denn wer fliegt schon spektakulärer als der brasilianische Ballkünstler? Nur: Liegt er am Boden, ähnelt Neymar eher einem sterbenden Schwan. Trotzdem ist Neymar wohl mehr der Regenpfeifer, schliesslich neigt der Starstürmer bei der leichtesten Berührung zur Simulation. Auch der Regenpfeifer täuscht seinen Gegner, indem er sich verletzt gibt und so von seinem Nest ablenkt. Fällt der Angreifer auf die Finte herein, geht es dem Regenpfeifer plötzlich wieder wunderbar und er flattert davon. Oder ist Neymar gar ein Wiedehopf? Beide verfügen über unübersehbare Frisuren beziehungsweise imposanten Kopfschmuck. Dass der Wiedehopf hierzulande primär noch im Wallis vorkommt, passt irgendwie auch zu dieser Neymar-Frage, nicht?Michael Schaad ist Biologe bei der Vogelwarte Sempach

Jenny Egermark, Schweizer Penaltyniederlagen in den WM-Finals im Eishockey und Unihockey, 0:1 im Achtelfinal an der Fussball-WM und ein 2:3 im Davis-Cup. Was macht Schweden besser?
Der Teamsport entspricht uns, es ist mehr die Art, wie wir Schweden Sport treiben. Schweden ist berühmt für seine ausgeglichene Gesellschaft. Wir kennen den Begriff «idrottsrörelsen», der sich ungefähr mit «Gemeinschaftssinn» übersetzen lässt und vom Konzept her eine gewisse Ähnlichkeit hat mit den Schweizer Vereinen. Alle dürfen mitmachen, unabhängig von Fähigkeiten, Geschlecht, sozialem Hintergrund. Unser Land ist bei ungefähr gleicher Bevölkerungszahl fast elfmal so gross. Darum sind wir etwas scheuer und weniger gesellig. Der Sport und Sportevents sind besonders auf dem Land die einzigen Gelegenheiten, bei denen wir zusammenfinden. Ein Stück weit ist es auch eine Pflicht, sich zu bewegen, aktiv zu sein, sich an der Gesellschaft zu beteiligen. Dass viele Siege gegen die Schweiz gelangen, war bei uns kein Thema. Wir scherzten nur, dass wir nun vielleicht nicht mehr mit euch verwechselt würden. Vielleicht folgt 2019 ja das Schweizer Jahr. Ich muss zugeben: Es braucht auch Glück – obwohl ich das eigentlich nicht sagen sollte, weil ich so meine ganze Argumentation untergrabe.Jenny Egermark ist schwedische Botschaftsrätin in Bern

Martin Hilti, ist Korruption in grossen Sportverbänden unvermeidlich?
Schwarze Schafe wird es immer geben, daher wird man Korruption nie ganz ausmerzen können. Aufgrund der Vorbildwirkung von Organisationen wie dem IOK und der Fifa ist es aber besonders wichtig, konsequent gegen die Korruption vorzugehen. Weil die Selbstregulierung versagt hat, ist als Sitzstaat der Schweizer Gesetzgeber gefragt. Ich sehe insbesondere drei nötige Massnahmen: Es muss auf gesetzlicher Stufe ein hoher Standard festgesetzt werden betreffend Gouvernanz von internationalen Sportverbänden. Das heutige Vereinsrecht ist schlicht nicht das richtige Instrument für Verbände, die Milliardenumsätze generieren. Zudem muss eine staatliche Aufsichtsbehörde – analog zur Finma, welche die Banken kontrolliert – geschaffen werden. Drittens muss der Whistleblower-Schutz verbessert werden. Bei den Football Leaks hat man erneut gesehen, wie entscheidend sie für das Aufdecken von Missständen sind. Martin Hilti ist Geschäftsführer von Transparency International Schweiz

Gian Franco Kasper, gehört E-Sports an die Olympischen Spiele?
Im Moment sicher noch nicht. Schwierig finde ich, dass es sich dabei um eine rein kommerzielle Branche handelt, nicht um eine sportliche Angelegenheit. Unsere Aufgabe als Sportverbände ist es doch, dass junge Leute nicht zu Couchpotatoes werden. Wir wollen die Kinder draussen haben, im Schnee, im Schneesturm. Zudem kommen wir da gezwungenermassen zur Grundsatzdiskussion: Was ist Sport? Klar, die Profispieler sind sportlich sehr gut beieinander. Aber ob es ein Sport ist, den das Publikum versteht? Da habe ich meine Zweifel. Ein Problem sind auch die vielen Arten der E-Games. Sollte es eines mit Sportbezug sein, wie «Fifa» oder ein Riesenslalom? Die Kriegsspiele gehören in meinen Augen nicht dazu. Diese Meinung ist derzeit im IOK-Council Konsens. Am letzten Olympia-Gipfel vor zwei Wochen schoben wir die Idee auf die lange Bank. Gian Franco Kasper ist IOK-Mitglied und FIS-Präsident

Helmut Digel, warum ist den meisten Fans egal, dass Sportstars Steuern hinterziehen, anderweitig betrügen oder sogar Vergewaltigungsvorwürfe wegwischen?
Ich habe mich stets darüber gewundert, wie schnell Zuschauer in Sportstadien einseitig Partei ergreifen und unfaire Mittel anwenden. Im Basketball werden gegnerische Schützen bei jedem Freiwurf ausgepfiffen, im Fussball werden Schiedsrichter und Sportler mit Schmähgesängen verhöhnt. Der Mehrheit der Besucher von Sportevents sind ethische Prinzipien offenbar unwichtig, sie sucht einzige spannende Unterhaltung respektive wartet auf das nächste spektakuläre Ereignis. Der Sport hat kein Gewissen, es zählt nur die Aktualität. Die Vergesslichkeit ist für diese Branche typisch. Das gilt nicht nur für die Zuschauer, sondern auch für die Medien. Dieselben Journalisten, welche Joseph Blatter während dessen Amtszeit als Fifa-Präsident massiv kritisiert haben, interviewen ihn heute gar als Gewährsmann gegen Gianni Infantino. Hauptsache, das Spiel geht weiter.
Wir wollen die Kinder draussen haben, im Schnee, im Schneesturm
Rainer Maria Salzgeber, wie stolz ist das Wallis auf seinen Fifa-Chef Gianni Infantino?
Grundsätzlich ist man stolz, dass es Leute aus dem Wallis in so hohe Positionen schaffen. Was dann im Amt passiert, hat weniger mit der Herkunft, als mit der Person zu tun – da muss sich jeder selber ein Urteil bilden. Zu Gianni habe ich eine spezielle Beziehung: Wir besuchten zur gleichen Zeit das Gymnasium, er das neusprachliche, ich das wirtschaftliche. Wir spielten beide Fussball, bei Gymi-Matchs auch zusammen. So eine Verbindung geht nie weg, wohl gerade weil uns unsere Heimat so extrem prägt: Die zwei Bergketten machen uns nicht engstirniger, wie es oft heisst, sondern bissiger. Wir wollen Gas geben, sind Typen, die ums Verrecken etwas erreichen wollen. Ausserhalb des Wallis werde ich manchmal auf ihn angesprochen. Da werden gerne alle Walliser in einen Topf geworfen: Sie trinken am Morgen schon Fendant und essen Käse. Für mich ist Infantino nicht der Fifa-Präsident, sondern der Gianni. Wenn wir uns treffen, was praktisch nie mehr passiert, dann als ehemalige Schulkollegen. In unseren Berufen versuche ich das zu vermeiden, da trete ich in den Ausstand.Rainer Maria Salzgeber ist SRF-Sportmoderator und Walliser
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