«Schwuppdiwupp – und alles hat sich gedreht»
Matthias Hüppi erlebt als Präsident des FC St. Gallen, wie unberechenbar die Super League ist. Ausser YB fehlt es allen an Konstanz.

Die Prognose liegt nahe: Meister wird YB. Luganos Trainer Pierluigi Tami bringt es auf den Punkt: «Selbst wenn Basel noch alle Spiele gewinnt, holen die Young Boys sicher den Titel. Weil ich nicht sehe, dass sie noch fünf ihrer Spiele verlieren.»
Im Rücken der Berner ist viel in Bewegung. St. Gallen zum Beispiel kann Basel noch abfangen, Luzern gewinnt auf einmal, Lugano gewinnt zuerst in Serie und verliert dann in Serie, Thun verliert nur noch, dafür steigert sich Sion. Oder typisch für diese Liga ist der Fall von GC: Es gewinnt kaum mehr und hat den 3. oder 4. Rang trotzdem nicht aus den Augen verloren. Aber weil es kaum mehr gewinnt, ist es auch gut beraten, in der Tabelle weiter nach hinten zu schauen. Tami erklärt: «Ausser YB können alle gegen alle verlieren.»
St. Galler Wende: Blochen mit Hüppi
Matthias Hüppi kommt sich im Moment wie ein Wanderprediger vor. Er könnte von Termin zu Termin eilen und Vorträge halten, wie er das am Dienstag tut, als er im Bernbiet, bei «Thömus» Bike-Laden, über seinen Wechsel vom Fernsehen auf den Präsidentensitz von St. Gallen referiert. 400 YB-Fans hören ihm zu. Hüppi sagt: «So etwas ist viel cooler, wenn man viermal gewinnt als wenn man fünfmal aufs Dach bekommt.»
St. Gallen hat zuletzt viermal in Serie gewonnen, und Hüppi spürt die Auswirkungen, wenn er durch die Stadt geht. Da kommt er keine zwei Meter weit, ohne angesprochen zu werden. Er spürt, wie die Menschen in der Ostschweiz mit ihrem Club mitgehen, und er will «für Wirbel» sorgen. Darum plant er, mit der Mannschaft im Sommer aufs Land zu fahren, in den Thurgau, ins Appenzell, in die Walensee-Region, um da während der Vorbereitung Trainings abzuhalten und die Nähe zu den Leuten zu suchen. «Espen on Tour», heisst das Motto. Hüppi sagt: «Ich stelle mir jetzt schon vor, wie der Bus übers Land blocht.»
Video: So moderierte Hüppi sein letztes Sportpanorama
Das ist Hüppi pur. Wie er denkt, wie er redet, wie er ist. Er sieht sich nicht «als gnädiger Herr, der von obenherab» funktioniert, nein, er pflegt den Kontakt zur Mannschaft, «und wenn es so läuft wie jetzt, ist das der Hammer». Dann fällt das Arbeiten unter der Woche leichter. Oder: Es wird anders wahrgenommen. Basels früherer Präsident Bernhard Heusler sagte Hüppi einmal: «Das Wochenende entscheidet darüber, ob du von Montag bis Freitag in Ruhe arbeiten kannst.»
Hüppis Ära begann mit den Niederlagen bei YB und gegen den FCZ. Und darauf folgte die Partie in Basel. Giorgio Contini wurde da und dort als Trainer bereits infrage gestellt, weil er sechs der letzten acht Spiele verloren hatte, «aber nicht bei uns», schiebt Hüppi dazwischen, «ehrlich nicht». St. Gallen also spielte in Basel, der Gegner bekam einen Elfmeter, verschoss ihn, «und danach», sagt Hüppi, «lief das Spiel voll für uns. Das war entscheidend für das, was nachher gekommen ist.»
Die Richtung stimmt
St. Gallen gewann 2:0, der Sieg war das Zeichen, dass die Richtung stimmt. Das Team wuchs zusammen, Spieler wie Itten und Ben Khalifa blühten auf, Sigurjonsson, bei GC unerwünscht, integrierte sich perfekt. So kam eines zum anderen zusammen. Oder wie es Hüppi formuliert: «Schwuppdiwupp – und alles hat sich gedreht.» Nur eines mahnt er auch an: «Wir dürfen uns nicht aus der Bahn werfen lassen.»
Die Rätsel:Teams auf der Achterbahn
Bevor Murat Yakin im September sein Debüt gab, war GC Zweitletzter. Nur Lausanne war noch schlechter. Die Yakin-Tabelle der nächsten neun Runden zeigte ein erstaunliches Bild: Nur YB holte in dieser Phase mehr Punkte als GC und Lausanne. GC glaubte sich mit dem neuen Trainer auf einem guten Weg, und Lausanne genoss die Aussicht, mit dem Geld des neuen Besitzers, des Chemie-Riesen Ineos, die Spitze angreifen zu können.
Und was ist passiert? Seither war niemand erfolgloser als GC und Lausanne mit ihren jeweils acht Punkten aus zehn Runden. Die Zürcher haben das Problem, dass Trainer Yakin über den Winter eine funktionierende Mannschaft gleich selber auseinandergerissen hat; die Romands wiederum beweisen, wie sehr in dieser Liga Kontinuität ein Fremdwort und nicht alles immer so genau zu erklären ist.
Der Neuling als Paradebeispiel
Lausannes Stürmer Simone Rapp sagt darum: «Die Sicherheit, dass wir in der Super League bleiben, haben wir so wenig wie einige andere Clubs auch.» Rapp schien im Winter eine gute Wahl von Lausanne zu sein, weil er im Herbst neun Tore für Thun erzielt hatte. Am neuen Ort kriselt es bei ihm wie bei der ganzen Mannschaft. Er hat am Mittwoch gegen Basel das erste Mal getroffen.
Es gibt noch andere unstete Teams. Da ist Sion, das mit Maurizio Jacobacci, dem dritten Trainer diese Saison, aus der Krise zu finden scheint. Oder es gibt den FC Lugano, der sich im Herbst wegen der Belastung des Europacups und der Abgänge von Sadiku und Alioski so schwertat, dass nur der Ligaerhalt das Ziel sein konnte. Die erste Saisonhälfte beendete er als Neunter, zwei Punkte vor Sion.
Das Problem mit dem Siegen
Auf einmal gewann er, 2:0, 1:0, 1:0 und nochmals 1:0, stürmte auf Platz 4 hoch. Aber dann bekam er ein neues Problem. «Wenn du gewinnst und gewinnst, lässt irgendwann die Konzentration nach», sagt Trainer Pierluigi Tami. «Du glaubst, es gehe von allein weiter. Die Spieler kommen in eine Komfortzone und geben nicht mehr 100 Prozent.» Lugano begann, wieder zu verlieren, 0:3, 2:4, 0:3, und Tami rechnet vor: «Sieben, acht Gegentore fielen nach groben individuellen Fehlern.» Er vermisst die Kontinuität. Nur weiss er auch: «Kontinuität ist die Qualität von starken Mannschaften und starken Spielern.»
Was ihm bleibt, ist der Appell an die Spieler, «den Hunger» wiederzufinden, wieder in die Zweikämpfe zu gehen, sich wieder solidarisch und laufbereit zu zeigen. Es ist aber auch der Appell an alle im Verein, immer alles zu geben, um Spiele gewinnen zu können. Für Tami ist das ein ganz zentraler Punkt, ob er seinen Vertrag verlängert oder nicht. Vorerst aber beschäftigt ihn nur eines: der Ligaerhalt. Er sagt: «Du brauchst dafür 36 oder gar 38 Punkte.»
Luzerner Begeisterung: Im Hoch mit Gerry
Er spielte bei den Junioren und später bei den Profis, er war Trainer im Nachwuchs. Er ist in Luzern schon vieles gewesen. Seit Anfang Jahr nun kümmert er sich um die Mannschaft in der Super League, erstmals coacht er eine Profi-Auswahl. Gerardo Seoane heisst der Mann, aber «Gerardo» ruft ihn kaum jemand, in Luzern ist er für alle «Gerry». Und Gerry macht seine Sache richtig gut, das sagt nur schon seine Bilanz: sechs Spiele mit vier Siegen und zwei Unentschieden, Platz 2 in der Tabelle 2018.
Gerry hier, Gerry da – da fragt sich: Was für ein Wundermittel setzt einer ein, der auf dieser Stufe noch nie gearbeitet hat?
Probleme mit Standards
Bevor Seoane als Nachfolger von Markus Babbel ins Jahr startete, sass er stundenlang vor dem Fernseher und schaute jedes Luzerner Gegentor an: Wie entstand es? Wie hätte es sich vermeiden lassen? Die Analyse ergab: Das Team hat Probleme, Freistösse und Eckbälle zu verteidigen. «Also haben wir versucht, mit entsprechender Trainingsgestaltung die Defizite zu beheben und in der Defensive Sicherheit zu gewinnen.»
In Zürich kündigte Ludovic Magnin, auch er ein Neuling, eine forsche, offensive Ausrichtung an. In Luzern erachtete es Seoane als Notwendigkeit, zunächst die Abwehr zu stärken. «Tief stehen» ist selten ein Hinweis auf einen attraktiven Stil. Aber es braucht kein Spektakel, um in Luzern die Leute zu begeistern, da genügt die Bereitschaft, sich aufzulehnen und als Einheit aufzutreten – wie am vergangenen Sonntag, als der FC Basel 1:0 bezwungen wurde. Die Zuschauer erhoben sich, applaudierten, und Seoane wusste: «Der Funke ist übergesprungen.»
Thuner Ruhe:Nicht über Kohle laufen
Andres Gerber, der Sportchef in Thun, gilt als ruhiger Zeitgenosse, der sich nicht so schnell nervös machen lässt. Das ist jetzt eigentlich auch so – jetzt, da die Thuner fünfmal in Serie verloren haben, zuletzt 2:7 in Sitten. Er sieht keinen Grund, Jungtrainer Marc Schneider infrage zu stellen, im Gegenteil. Er zweifelt auch nicht an der Qualität des Kaders. Und er glaubt, dass die Berner Oberländer im Sommer in ihre neunte Super-League-Serie in Folge steigen.
«Wohin führt das noch?»
Aber etwas stört ihn doch: unqualifizierte Äusserungen. Gerber hält sich zwar von den sozialen Medien fern, so gut das geht. Nur: Er bekommt mit, wenn die Spieler mit Spott und Hohn übergossen werden, wenn gewünscht wird, dass sie «aus dem Wallis doch heimlaufen sollen, diese Versager». Gerber wehrt sich für die Spieler, und wenn er das tut, kommt er sich manchmal vor wie ein Missionar: «Ein Club mit diesen Voraussetzungen muss damit klarkommen, dass er elf Runden vor Schluss einer Saison einmal auf dem letzten Platz der Tabelle liegt. Wenn dann einige Leute tun, als wäre das ein Skandal, frage ich mich: Wohin führt das noch? Wir sollten doch schätzen, was wir haben.»
Nun ist es in Thun so, dass die Hauptprobleme vor allem in der Defensive liegen, davon zeugen die 53 Gegentreffer in 25 Partien. Zu Beginn der Saison hiess der Goalie Francesco Ruberto, er verdrängte Guillaume Faivre. Aber Ruberto hielt nicht gut genug, und Faivre fiel als Ersatz zunächst aus. Also holten die Thuner im Januar Djordje Nikolic aus Schaffhausen. Das löste aber das Problem nicht. Darum dürfte Faivre am Sonntag gegen Lausanne sein Comeback geben. Gerber sagt: «Intern greift keine Nervosität um sich. Und wir müssen auch keine Aktionen starten wie Bäume umarmen oder über Kohle laufen. Weil wir überzeugt sind, dass wir die Qualität haben, um die Wende zu schaffen.»
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