Gruss an einen Freund – und die Kritiker
Vor einem Jahr noch ausgepfiffen, war Haris Seferovic jetzt der grosse Matchwinner in der Belgien-Gala. Auch ein anderer spielte gross auf.
Er scheint im ersten Moment gar nicht so genau zu wissen, wo er hinsoll. In Richtung Ersatzbank? Zur Haupttribüne? Haris Seferovic entscheidet sich, in Richtung Eckfahne zu rennen, gefolgt von euphorisierten Mitspielern. Soeben hat der Schweizer Stürmer noch ein Tor erzielt. Sein drittes. Per Kopf und somit den perfekten Dreierpack geschnürt (je ein Tor mit Kopf, rechts und links). Noch nie schoss er in einem Länderspiel mehr als zwei Treffer. Ohnehin gelangen ihm drei Tore in einer Partie als Profi erst einmal – am 17. April 2013 in der italienischen Serie B mit Novara gegen Livorno. Jetzt schafft er es wieder. Gegen Belgien, den Weltranglistenersten.
Der 26-Jährige rennt also zur Ecke, bleibt aber auf halbem Weg stehen. Die Geste ist ihm wichtiger. Die Geste, die er bei seinen beiden Toren zuvor schon gemacht hat. Handbewegungen, als möchte er der ganzen Schweiz mitteilen: Jetzt ist fertig. Oder auch: Schluss mit den Pfiffen. Nach der Partie klärte er auf: «Es war ein Gruss an einen Freund. Der Jubel stammt aus einem Computerspiel, das wir gemeinsam spielen.»
Video: Seferovic erzielt das 5:2
Der Schweizer Stürmer macht den Dreierpack perfekt. Video: Tamedia/SRF
Es ist noch nicht lange her, als Seferovic einen Tiefpunkt in seiner fast sechsjährigen Karriere in der Nationalmannschaft erlebte. Ziemlich genau ein Jahr. Damals, Mitte November 2017, beim 0:0 in der WM-Barrage gegen Nordirland, wurde er vom Publikum in Basel bei seiner Auswechslung gnadenlos ausgepfiffen. Obwohl sich die Schweiz für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland qualifizierte. Er galt als Chancentod. Als überfordert. Als Schwachpunkt des Teams. Diese Pfiffe hätten ihm «sehr wehgetan», sagte der Stürmer kürzlich.
Video: Pfiffe gegen Seferovic
Das Basler Publikum reagiert gegen Nordirland gnadenlos auf seine Auswechslung. Video: Tamedia/SRF
Ähnlich scharf kritisiert wird regelmässig Xherdan Shaqiri. Und das trotz einer beachtlichen Quote von 22 Toren und 22 Assists in 80 Länderspielen. Oftmals ist er auch mit einem vorletzten Pass für einen Treffer mitverantwortlich. Läuft es der Schweiz, liegt es meistens am Linksfuss, der im Boulevard gerne auch als «Kraftwürfel», «Zauberzwerg» oder «Alpen-Messi» bezeichnet wurde. Übernamen, die zeigen, wie gross die Erwartungen an den hochtalentierten Fussballer sind.
In der öffentlichen Wahrnehmung erfüllte er diese Erwartungen zu oft nicht. Drei Tore an der WM 2010 gegen Honduras? Egal. Drei Assists an der EM-Qualifikation beim 3:0 gegen Estland? War ja nur Estland. Das 1:1 an der WM 2018 gegen Brasilien vorbereitet? Geschenkt. Das Siegtor ein Spiel später gegen Serbien in der Nachspielzeit? Doppeladler!
Jetzt, im entscheidenden Spiel gegen Belgien um den Gruppensieg in der Nations League, liefert er wieder mal. Und für einmal gibt es keine zwei Meinungen. Per Kopf bereitet er das 2:2 durch Seferovic vor, mit einer perfekt getretenen Flanke liefert er den Assist zu Elvedis 4:2. Shaqiri zeigt sich in Spiellaune, narrt seine Gegner mit Dribblings, holt sich den Ball mal vorne rechts, dann links auf Höhe der Mittellinie.
Video: Elvedi schiesst das 4:2
Nach toller Vorlage von Shaqiri macht Elvedi seinen Fehler zum 0:1 wieder gut. Video: Tamedia/SRF
In Abwesenheit des lange Zeit abgemeldeten Granit Xhaka ist es Shaqiri, der die Schweizer Angriffe orchestriert. Wie so oft, eigentlich. Offensichtlich braucht es aber einen Abend wie diesen, um dem Schweizer Publikum in Erinnerung zu rufen, was Jürgen Klopp beim Spitzenclub Liverpool längst erkannt hat: Shaqiri gehört zu den speziellen Fussballern, die ein Spiel entscheidend prägen und für spezielle Momente sorgen können.
Genug Qualität auf der Neun?
Oftmals war er in der Offensive aber etwas gar auf sich alleine gestellt. An der Pressekonferenz vor der Nations-League-Partie in Island wurde Shaqiri befragt, ob die Schweiz einen Stürmer wie Romelu Lukaku brauche. Der Belgier hatte wenige Tage zuvor die Schweiz beim 2:1 mit zwei Toren nahezu im Alleingang besiegt. Shaqiri gab sich diplomatisch: Die Schweiz habe genug Qualität auf der Neun, der Position des Mittelstürmers. Und Seferovic antwortete auf seine Weise: Er schoss gegen Island ein Tor, leitete ein weiteres ein. Die Schweiz gewann 2:1.
Bilder: Der Schweizer Sieg gegen Belgien
Und jetzt diese Gala. Mit fünf Toren aus vier Spielen ist er in der Liga A der Nations League aktuell Führender der Torschützenliste. Vor Lukaku. Damit bestätigt Seferovic, was er vor der Partie gegen Belgien sagte: «Am Ende wird harte Arbeit belohnt. So funktioniere ich. Das ist meinem Charakter geschuldet.»
Kurz vor Schluss belohnt ihn auch Vladimir Petkovic. Mit seiner Auswechslung gewährt er dem Luzerner Publikum die Chance, den Matchwinner zu verabschieden. Es folgt, mit einer Standing Ovation. Seferovic bedankt sich artig, klatscht in Richtung der Zuschauer. Nach dem Spiel bemängelt er, dass er sogar ein viertes Tor hätte erzielen können. Er hebt nicht ab – Seferovic weiss, wie schnell die Stimmung im Fussball kippen kann.
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