«Ich hatte früher weniger Sorgen»
Vor dem Rückrundenstart in der Bundesliga erklärt Mainz-Trainer Martin Schmidt, warum er keinen Traumjob hat. Er spricht über Bodenhaftung und Hochgefühle. Und der 49-jährige Walliser sagt, wieso er sich verändern musste.

Sie sind seit bald zwei Jahren Bundesligatrainer in Mainz. Haben Sie sich daran gewöhnt?Martin Schmidt:Im Gegenteil, es ist für mich immer noch sehr unwirklich. Gerade letzten Samstag beim Testspiel gegen Bayern München hatte ich ein solches Erlebnis: Abklatschen mit Ancelotti, Alonso, Ribery, Müller. Da denke ich schon: Wo bin ich eigentlich? Das kann doch eigentlich nicht wahr sein (grinst).
Und dann kam es tags darauf zum Wiedersehen mit dem FC Thun, bei dem Sie bis 2010 die U-21 trainierten.Was sich seither abgespielt hat, ist schon unglaublich. Schön am Wiedersehen war, dass ich merkte, dass die alten Bekannten immer noch dieselben Menschen sind. Ich hoffe, sie denken nun das Gleiche von mir.
Man hört, sie würden mit sehr vielen ehemaligen Weggefährten Kontakt pflegen?Die Spieler von damals in Raron schreiben mir hin und wieder. Sie begrüssen mich mit «Hallo Traino» und unterschreiben mit «deine 10, dein 6er». Sie äussern manchmal auch Kritik an meinen Auswechslungen (schmunzelt). Und meine Thuner U-21-Mannschaft, mit der ich bei einem Turnier in Deutschland den Final gegen Mainz gewann, habe ich immer noch im Kopf (zählt die Namen auf). Mit vielen von ihnen ist der Kontakt geblieben.
Sie haben einen stressigen Job. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?Ich nehme mir am Abend Zeit. Manchmal beantworte ich Dutzende von Nachrichten.
Weil Sie sonst ein schlechtes Gewissen hätten?Nein. Aber um immer wieder vor Augen geführt zu bekommen, wo ich herkomme. Sonst verliert man als Trainer in der Bundesliga rasch seine Identität. Da geht man plötzlich einen Weg, wo die Leute sagen: Was ist los mit dem? Früher hat er mich noch gegrüsst, und jetzt kennt er mich nicht mehr. Demut empfinde ich als enorm wichtig.
Es muss zuweilen schwierig sein, diese im grossen Showgeschäft Bundesliga bewahren zu können?Der Kontakt in die Heimat gibt mir Normalität. Und habe ich mal ein paar Tage frei wie an Weihnachten, gehe ich immer zurück ins Wallis. Da versuche ich, der einfache Martin zu sein, wie damals. Aber das ist schwerer geworden, mittlerweile werde ich von den Touristen erkannt. Mir ist manchmal noch gar nicht bewusst, wie sehr ich in der Öffentlichkeit stehe.
«In Deutschland ist ein autoritäres Auftreten sehr wichtig.»
Das Interesse an der Bundesliga ist gewaltig. Schon nur nach dem Testspiel gegen Thun mussten Sie einem Dutzend Journalisten Red und Antwort stehen.Die Bundesliga ist eine riesige Blase, ein Milliardenbusiness mit schwindelerregenden Gehältern. Erst kürzlich haben wir Yunus Malli für 12,5 Millionen Euro an Wolfsburg verkauft. Wir überlegen jetzt, was wir davon wieder investieren können und wollen. Ich glaube, ein Andres Gerber (Sportchef beim FC Thun) will so was nicht hören (schmunzelt). Manchmal denke ich: Was sind das bloss für Dimension?
Wie empfinden Sie die Verantwortung, die dieser Job mit sich bringt?Sie macht einerseits stolz, anderseits ist sie ein schwerer Rucksack. Letztes Jahr erwirtschafteten wir 104 Millionen Euro Umsatz, wir haben rund 120 Mitarbeiter. Als Cheftrainer bin ich mit der wichtigste Angestellte. Das ist vergleichbar mit dem CEO einer grossen Firma. Wenn der Erfolg ausbleibt, kann das auch wirtschaftlich Konsequenzen haben.
Das zehrt an Ihnen?Das braucht enorm viel mentale Kraft. Während des Tages merke ich das gar nicht so sehr, weil ich immer gefordert bin. Doch wenn ich dann am Abend nach Hause gehe, aufs Sofa liege, bin ich hundemüde. Der Kopf ist leer.
Wie haben Sie die zwei Jahre in der Bundesliga verändert?Grundsätzlich bin immer noch derselbe: Ich habe dieselbe Wohnung, dieselbe Einrichtung, dasselbe Auto. Was sich verändert hat, ist mein Aufgabenbereich, mein Status. Was ich vorlebe, wird weitergelebt. Da gehört Stringenz im Auftritt, Autorität, Ordnung und Disziplin dazu.
Ansonsten wird das ausgenutzt?Wenn ich Schwäche zeige, könnte das ganze Konstrukt instabil werden. In Deutschland ist ein autoritäres Auftreten sehr wichtig. Ich muss mich stets bewähren, rasch Entscheidungen treffen, immer vorbereitet sein.
«Ich freue mich auf den Moment meiner Rückkehr in die Schweiz.»
Auch gegen Angriffe aus dem eigenen Klub?Angriffe würde ich es nicht nennen, es geht vielmehr ums Bewähren nach innen und nach aussen. Man steht halt immer in der Öffentlichkeit. Wenn ich auf dem Trainingsplatz wütend etwas brülle, wird das ziemlich sicher am nächsten Tag in der Presse thematisiert.
Sie sagten kürzlich, sie seien als Trainer der Mainzer U-23 glücklicher gewesen als jetzt.Das war in einem TV-Beitrag zum Thema «Traumberuf Bundesligatrainer». Ich wollte den Zuschauern die Illusion nehmen: Bundesligatrainer bedeutet, viel Geld zu verdienen, und das wiederum bedeutet, glücklich zu sein. Tatsächlich ist es nicht so einfach.
Warum waren Sie denn als Nachwuchstrainer glücklicher?Status und Geld sind nicht das Wichtigste für das Empfinden von Glück. Für mich ist die Arbeit mit dem Team zentral. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin heute auch zufrieden. Ich hatte früher nur weniger Sorgen. Die Lebensqualität war grösser, folglich war ich auch glücklicher.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?Wenn ich die Arbeit verliess, hatte ich Feierabend. Jetzt gehe ich nach Hause und überlege, wie viel wir in den Kader investieren können, ob das Team für die Rückrunde verstärkt werden muss, was ich morgen mit der Presse kommuniziere. Das Gesamtpaket als U-23-Trainer war idyllischer. Ich hatte mehr Freitage, mehr Freizeit, mehr Freiheit. Als Bundesligatrainer führe ich ein Leben im Schaufenster und bin operativ wie auch strategisch im Verein gefordert.
Warum machen Sie es denn?Der Ehrgeiz ist die Triebfeder, das Gefühl, Erfolg zu haben. Erlebnisse wie der Sieg gegen die Bayern letztes Jahr oder die Qualifikation für die Europa League. Für solche magischen Momente ist man bereit, vieles auf sich zu nehmen. Das heisst aber nicht zwangsläufig, dass ich immer höher und weiter kommen muss.
Das heisst konkret?Für mich passt in Mainz alles. Ich muss nicht zwingend irgendwann zu einem Topverein wechseln. Ich lasse einfach alles auf mich zukommen, wie bis jetzt im Leben auch.
Dann können Sie sich eine Rückkehr in den Schweizer Klubfussball vorstellen?Absolut. Als Fussballtrainer arbeite ich gerne auf Profiniveau, die Liga ist da nicht so entscheidend. Ich freue mich auf den Moment meiner Rückkehr in die Schweiz. Zumal ich dann auch wieder mehr Zeit habe, Ski zu fahren.
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