Sozialhilfegesetz: Linke taktieren bei Schlussabstimmung
Am Donnerstag wurde im Berner Grossen Rat die umstrittene Revision des Sozialhilfegesetzes verabschiedet. Die Revision kommt aber nicht automatisch vors Volk.

Bei der Revision des Sozialhilfegesetzes soll das Berner Volk das letzte Wort haben. Darin sind sich alle Parteien einig. Linke und Grüne im Grossen Rat sorgten am Donnerstag dafür, dass sie wie geplant selber das Referendum ergreifen können.
«Wir wollen Unterschriften sammeln und so mit den Menschen ins Gespräch kommen», sagte die Grüne Andrea de Meuron. Ihre Partei ist genau wie die SP zuversichtlich, dass das Volk die Vorlage bachab schicken werde.
Die Befürworter der Revision haben nichts gegen einen Urnengang, im Gegenteil: Auch sie glauben an einen Abstimmungssieg - und dieser werde dem Gesetz zu einer noch besseren politischen Legitimation verhelfen.
Die Mitte-Parteien GLP, BDP und EVP schlugen vor, die Vorlage dem obligatorischen Referendum zu unterstellen. SVP, FDP und EDU waren einverstanden, doch sie brachten die erforderlichen 100 Stimmen nicht zusammen.
Denn SP und Grüne enthielten sich der Stimme. Sie machten verfassungsrechtliche Bedenken, räumten aber auch ein, dass sie sich das Thema nicht «entreissen» lassen wollen. Resultat: 93 zu 1 Stimmen bei 50 Enthaltungen - zu wenig für ein obligatorisches Referendum.
Bedauern bei Skos
Die Gesetzesrevision hat schweizweit für Aufsehen gesorgt. Denn der Kanton Bern hält sich damit nicht mehr an die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos). Kritiker befürchten, der Entscheid könnte andere Kantone zum selben Schritt animieren.
Trotzdem bestätigte der Grosse Rat in der zweiten Lesung seinen Beschluss vom Dezember: Der Grundbedarf für minderjährige Sozialhilfebezüger und Erwachsene ab 25 Jahren soll acht Prozent unter den Skos-Richtlinien liegen dürfen. Bei den 18- bis 25-Jährigen sind sogar 15 Prozent möglich.
Die SKOS bedauert den Entscheid, wie sie in einem Communiqué vom Donnerstag schrieb. Gehe man unter das soziale Existenzminimum, würden die Probleme verlagert statt gelöst.
Emotionale Debatte
Im Berner Rathaus gingen die Wogen vor der Schlussabstimmung nochmals hoch. Die SP warf den Bürgerlichen vor, für sie seien alle Sozialhilfebezüger «faul, dumm, nicht fähig, Schmarotzer der Gesellschaft». Die Grünen mahnten, die Leistungskürzungen gingen vor allem zu Lasten von Kindern und älteren Menschen.
Für die EVP spiegelt das Gesetz die Entsolidarisierung wieder. Das Zeichen, das man sende, sei eines Sozialstaats unwürdig. Die Grünliberalen waren nach eigenen Angaben bereit, mit der Revision bestehende Missstände zu beheben. Doch mit der 8-prozentigen Kürzung des Grundbedarfs sei eine rote Linie überschritten worden.
«Arbeit muss sich lohnen»
Ganz anders sah es die bürgerliche Mehrheit. Für die SVP wird mit dem Gesetz die Grundlage geschaffen, um die explodierenden Kosten in der Sozialhilfe in den Griff zu bekommen. Zugleich würden Anreize geschaffen, damit es sich für Sozialhilfebezüger wieder lohne, möglichst rasch wieder zu arbeiten.
Die BDP hält die Eckwerte des Gesetzes ebenfalls für angemessen. Dem schloss sich die EDU an - die SKOS-Richtlinien seien grosszügig bemessen, die Kürzung sei vertretbar. Auch die FDP sieht in der Revision einen «Schritt in die richtige Richtung».
Fürsorgedirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) gab zu bedenken, dass es im Kanton Bern schon heute über 46'000 Sozialhilfebezüger gebe. Die Zahl werde in einigen Jahren steigen, wenn diejenigen Menschen ins Sozialhilfesystem kämen, die mit der letzten Flüchtlingswelle ins Land kamen und es nicht schafften, auf den eigenen Füssen zu stehen.
Der Rat stellte sich schliesslich mit 79 gegen 63 Stimmen hinter die Gesetzesrevision. Drei Grossräte enthielten sich der Stimme.
SDA/tag
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