Repräsentation oder «Grosstuerei»?
Ein gewisses Misstrauen gegenüber diplomatischer Repräsentation zieht sich durch die Schweizer Geschichte.
90'000 Franken Miete pro Monat für das Schweizer Konsulat am «Pier 17» in San Francisco. Die Schweiz leistet sich eine trendige Location mit Sicht auf die Bay Bridge. Zweckdienliche Repräsentation oder unnötiger Luxus? Tatsächlich stellt sich die Schweiz solche Fragen seit über 100 Jahren.
1884 stimmte das Volk über einen Bundesbeschluss über einen Beitrag von 10'000 Franken an die Kanzleikosten der Gesandtschaft in Washington ab. Der Posten in den USA werde wegen des zunehmenden Handels immer wichtiger, sagte Nationalrat Melchior Römer gemäss NZZ in der parlamentarischen Debatte. Er erkannte jedoch das Risiko einer Volksabstimmung: «Aber freilich für den gedrückten Landmann ist es schwer einzusehen, dass selbst 60'000 Franken für den Gesandten in Washington nur eine geringe Besoldung sind.» Das Volk verwarf die Vorlage. 1895 erlitt der Bundesrat erneut eine Abfuhr, als er mit einem Bundesgesetz eine klare Rechtsgrundlage für den diplomatischen Dienst schaffen wollte. Der freisinnige Bundesrat Adrien Lachenal habe in seinem Votum über das Wesen der diplomatischen Vertretung «überzeugend auseinandergesetzt, dass die Beurteilung dieser Frage sich dem Verständnis der grossen Masse entzieht», berichtete die NZZ. Tatsächlich zeigte die Masse kein Verständnis und sagte 1895 Nein zum Bundesgesetz.
Botschafterposten galten lange als Pfründen ohne Amtspflichten und Diplomatie als Luxus, der der einfachen Schweiz nicht entspreche, stellte Claude Altermatt in seiner Arbeit über die Anfänge der Schweizer Diplomatie fest. Die Posten waren wegen der knappen Besoldung nur für reiche Anwärter interessant. Bis 1904 gab es nur sieben Gesandtschaften: Paris, Wien, Rom, Berlin, London, Washington und Buenos Aires. Noch 1905 erklärte FDP-Bundesrat Ludwig Forrer, die geplanten Gesandtschaften in Russland und Japan seien «reine Grosstuerei».
Das hat sich inzwischen geändert. Ein gewisses Misstrauen gegenüber der Diplomatie aber hat sich bis heute gehalten. Das spürte etwa Carlo Jagmetti, als er sich als Botschafter in Washington in einer Homestory der «Schweizer Illustrierten» im Bademantel fotografieren liess. Ein gesundes Misstrauen gegenüber grossen Auftritten gehört zur Schweiz. Die kritische Auseinandersetzung mit den Kosten sorgt dafür, dass sich die Diplomatie nicht zu weit von der Bevölkerung entfernt. Diese scheint nach wie vor der Meinung zu sein, eine gewisse Zurückhaltung passe gut zur diplomatischen Schweiz. Angesichts der Herausforderungen, denen ein kleines Land wie die Schweiz in diesen turbulenten Zeiten ausgesetzt ist, sollten wir nicht nur in Repräsentation, sondern vor allem in die Qualität des diplomatischen Personals investieren.
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