Solothurner Schneiderin näht Garderobe für Weltstarts
Trudy Jost fertigt in ihrem Atelier in der Solothurner Altstadt exklusive Ledergarderobe für Weltstars. Einer von ihnen ist kürzlich gestorben: Südstaaten-Rocker Willy DeVille – der beste Freund der Schneiderin.

Kleider aus Leder sind im Sommer nicht beliebt. Deswegen schloss Trudy Jost in den heissen Monaten die Tür ihrer Lederwerkstatt in Solothurn und machte sich mit ihrem Lieblingsmusiker auf Tournee. Seit 1998 war die 62-jährige Österreicherin die «personal tour womanager» und Schneiderin von US-Rockstar Willy DeVille. Als dieser am 7. August an Krebs starb, starb mit ihm einer der schillerndsten Lebensabschnitte, auf die Trudy Jost zurückblicken kann.
Sie hat schwer mit diesem Verlust zu kämpfen. Dennoch huscht ein Lächeln über ihr Gesicht, als sie an diesem heissen Sommertag im Atelier über ihr Leben nachdenkt, das sie seit 40 Jahren in der Schweiz und seit zehn Jahren in zwei Welten verbringt: Einerseits als Schneiderin, andererseits als Freundin von Willy DeVille.
Stoff, Scherben, Leder
Trudy Jost ist im österreichischen Graz aufgewachsen. Nach ihrer Ausbildung als Schneiderin reiste sie in die Schweiz, um Englisch zu lernen. «Ich wollte nachher zu meiner Schwester, die nach San Francisco ausgewandert war.» Doch dann heiratete sie, wurde Mutter. Nach gescheiterter Ehe steht sie mit ihrem dreijährigen Sohn alleine da. «Mir kommt nie mehr ein Mann ins Haus», sagt die Widderfrau, die auch den Scherbenhaufen der zweiten zerbrochenen Ehe sauber aufgeräumt und ihr Leben neu angepackt hat.
Die allein erziehende Mutter verdiente ihren Lebensunterhalt mit Änderungen für verschiedene Modegeschäfte, bevor sie vor 20 Jahren das Atelier aufbaute. «Ein Transvestitenpaar bestellte für seine Show ein Lederkostüm», erzählt Jost. Die Schneiderin lässt den Stoff links liegen: Auf der derselben alten Pfaff-Nähmaschine, die sie durch ihre Ausbildung begleitete, fertigt sie seither exklusive Lederkleider nach Mass.
Trudy Jost dreht am Lautstärkeregler. Willy deVilles Stimme füllt den Raum mit seiner kratzigen Südstaaten-Stimme. Mitte der Neunziger, Jost feiert deVilles Konzert im Berner Bierhübeli mit Freundinnen und Champagner, wirft sie dem Rocker salopp an den Kopf: «In dieser Hose siehst du aus wie ein Kartoffelsack!» DeVille, bislang nur Schmeicheleien weiblicher Fans gewöhnt, erwidert: «Dann mach mir doch eine bessere!» Der Anfang einer grossen Freundschaft.
Mit dem Dandy um die Welt
Trudy Jost begleitet den Bluesrocker auf seinen Konzerttourneen durch die halbe Welt. «Er liebt den Geruch alter Kirchen», erzählt sie in Gedanken versunken und im Präsens vom verstorbenen Freund. In der falschen Zeit sei er geboren, der Melancholiker, der von einem Moment auf den anderen seine Stimmung wechseln konnte wie seine Garderobe. Mal als Dandy aus dem 19. Jahrhundert, mal als Indianer lief deVille durch Solothurns Strassen, wenn er sie besuchte.
Der Musiker habe sich an nichts und niemanden angepasst, erzählt Jost. Ausser an die über 20 Paar Hosen und Mäntel, die sie in den letzten zehn Jahren schneiderte. Er blieb nicht der einzige prominente Kunde: Für Sting fertigte sie zwei Paar Hosen und eine Jacke. Sie lernte ihn auf einer Tournee mit Willy kennen. «Trudy ist Jimi Hendrix auf der Nähmaschine», sagte er zu Sting im Umkleideraum, woraufhin dessen Bestellungen eingingen.
DeVilles Mantel hängt am Ständer im Atelier. Trudy Jost spielt seine Stimme auf dem Telefonbeantworter ab. Auf die Frage, ob sie ein Paar waren, winkt sie lachend ab. Nie und nimmer wäre er ein Mann für sie gewesen. «Aber ein genialer Künstler und ein ewiges Kind.» Um sich von ihm zu verabschieden, reiste die Solothurnerin vor zwei Wochen an die Beerdigung nach New York.
Die Party ist vorbei
Der «alte Hippie» – wie sie sich nennt – geht heute nur noch selten aus dem Haus. Lieber pflegt Jost ihren Garten, passt auf Hund Pluto auf und träumt, nach der Pensionierung in den Süden auszuwandern.
Über das Jahrzehnt mit dem Rockstar will sie ein Buch schreiben. «Einmal ist die Partyzeit vorbei. Aber was ich gerne noch gesehen hätte, ist ein Konzert von Pink Floyd.» Im Hintergrund tönt wieder Willys Stimme. Und Trudy Jost zieht an ihrer Zigarette und zieht sich wieder mit ihren Gedanken zurück in die zweite der beiden Welten.
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