Pro und Kontra WerbeverbotSoll die Schweiz die Initiative «Kinder ohne Tabak» annehmen?
Wie stark soll die Werbung eingeschränkt werden, um Kinder und Jugendliche vom Rauchen abzuhalten? Die Debatte zum Volksbegehren und zum indirekten Gegenvorschlag läuft auch in unserer Redaktion.

Ja
«Heute Tabak! Morgen Cervelat?» Das steht auf den Plakaten zur Initiative «Kinder ohne Tabak» – mit dem Zusatz: «Nein zur extremen Verbots-Initiative!» Für die Aargauer gibt es eine Version mit Rüeblitorte, für die Romands eine mit Weisswein. Die Betrachterin fragt sich unweigerlich: «Was will uns der Staat denn noch alles verbieten?» Ein Verbot von Cervelats oder auch nur der Werbung dafür: Das wäre tatsächlich extrem.
Droht so etwas bei einem Ja zur Tabakinitiative? Zwar gibt es Forderungen, die Werbung auch für ungesunde Lebensmittel einzuschränken. Bloss: Im Parlament hatten diese bisher keine Chance. Dass auf ein Ja zur Initiative eine Verbotslawine folgen würde, ist unwahrscheinlich: Obwohl die meisten europäischen Länder schon lange strenge Tabakwerbeverbote kennen, ist Wurst- oder Tortenwerbung nirgendwo verboten. Sollte ein Cervelat-Werbeverbot dennoch eines Tages zum Thema werden, könnte erneut eine Abstimmung erzwungen werden.
Aktuell geht es um etwas anderes: Zur Debatte steht ein Verbot von Werbung, die Kinder und Jugendliche erreicht – für ein Produkt, das nicht bloss ein bisschen ungesund ist, sondern stark abhängig macht und zu vielen vorzeitigen Todesfällen führt. Die Cervelat-Kampagne ist ein hilfloser Versuch, davon abzulenken. Mangels Argumenten beschwören die Gegner der Tabakinitiative das Bild eines Staates herauf, der seine Bürgerinnen und Bürger immer stärker bevormundet.
Doch das Verbot, das zur Debatte steht, ist kein taugliches Beispiel dafür. Denn es betrifft gerade nicht die Freiheit mündiger Bürgerinnen und Bürger: Erwachsene dürfen bei einem Ja weiterhin rauchen, so viel sie wollen. Geschützt werden sollen Kinder und Jugendliche, die gemäss Studien für Werbung besonders empfänglich sind – vor Werbung, die sie zum Rauchen animieren will.
Der Gegenvorschlag genügt nicht
Zwar streiten die Tabakkonzerne ab, dass sich ihre Werbung gezielt an Kinder und Jugendliche richtet. Tatsache aber ist, dass ein grosser Teil der Rauchenden vor dem 18. Altersjahr mit dem Rauchen beginnt. Will die Tabakindustrie neue Kundinnen und Kunden gewinnen, muss sie also auf Jugendliche zielen. Dass sie deshalb weiterhin an Festivals, in Gratiszeitungen und in sozialen Medien werben möchte, ist also nachvollziehbar.
Unverständlich ist dagegen, dass das Parlament in diesem Punkt der Tabaklobby folgte und im Gesetz, das als indirekter Gegenvorschlag dient, keine strengeren Regeln beschloss: Nur auf Plakaten, in Kinos und auf Sportplätzen soll es gemäss dem Gesetz keine Tabakwerbung mehr geben. Damit blieben ausgerechnet jene Werbearten erlaubt, die besonders Jugendliche erreichen: Werbung an Festivals, in Gratiszeitungen und in sozialen Medien.
Mit einem Ja zur Tabakinitiative kann diese Lücke geschlossen werden. Die einzige Folge für die Erwachsenen wäre, dass auch sie weniger Tabakwerbung zu sehen bekämen. Unverhältnismässig ist das nicht: Ein Ja zur Initiative «Kinder ohne Tabak» kann dazu beitragen, dass weniger Jugendliche mit dem Rauchen beginnen. Niemandes Freiheit wird dadurch eingeschränkt – ausser jene der Tabakindustrie.
Nein
Zweifellos, der Name der Initiative ist gut gewählt: Wer kann schon dagegen sein, dass «Kinder ohne Tabak» aufwachsen. Aber auch wer am 13. Februar ein Nein in die Urne legt, stärkt den Jugendschutz. Der vom Parlament erarbeitete indirekte Gegenvorschlag, das Tabakproduktegesetz, kann unabhängig vom Ausgang über die Initiative in Kraft treten. Bei einem Ja zur Initiative müsste es nachträglich angepasst werden. Der Gegenvorschlag sieht ebenfalls weitreichende Einschränkungen der Tabakwerbung für Kinder und Jugendliche vor. Und hat etwas aufgenommen, was bei der Initiative nicht berücksichtigt wurde: ein Verkaufsverbot von Tabakprodukten an unter 18-Jährige in der ganzen Schweiz – heute liegt das Mindestalter in 12 Kantonen bei 16 Jahren.
Gregor Poletti ist Inland-Redaktor und seit über 30 Jahren im Journalismus tätig. Alles was gesellschaftspolitisch bewegt, lässt ihn in die Tasten greifen - von Tempo 30 bis zur Sterbehilfe.
Mehr InfosCharlotte Walser gehört seit 2021 zum Bundeshausteam der Redaktion Tamedia. Die promovierte Philosophin arbeitet seit 1995 als Journalistin. Von 2010 bis 2020 berichtete sie für die Nachrichtenagentur Keystone-SDA aus dem Bundeshaus. Weitere Stationen waren InfoSüd und die Uno-Flüchtlingsorganisation UNHCR.
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