So viele Vreneli in einem Dorf
Guggisberg machte seinem Ruf als Vreneli-Dorf alle Ehre: Am Vreneli-Märit prägten Zöpfe das Bild, wie sie vor 350 Jahren vom Vreneli ab em Guggisberg getragen worden sind.
Entschuldigung, wo ist Vreneli zu finden? Die Frage zu stellen, ist an diesem bunten Markttag in Guggisberg definitiv überflüssig. Gut, die Figur mit der tragischen Liebesgeschichte, wie sie im bekannten «Guggisberglied» besungen wird, wacht ja unentwegt über das Dorf. Als Bronzestatue, die ein Stück von der Hauptstrasse weg auf dem Dorfbrunnen steht. Und als Bild auf dem Wappen an der Gemeindeverwaltung, das ebenfalls nicht gleich ins Auge springt.
An diesem Samstag aber, so ist es zumindest angekündigt, wird die junge Frau aus der Zeit um 1650 noch viel präsenter sein in der Gemeinde im äussersten Süden der Region Bern, deren Zentrum auf bereits 1100 Metern über Meer liegt. Guggisberg lädt zum ersten Vreneli-Märit.
Tatsächlich prägen die typischen Vreneli-Zöpfe schon bald das Strassenbild. Zuerst nur vereinzelt, dann aber immer zahlreicher tauchen Frauen und Mädchen auf dem Dorfplatz auf, die ihre Haare wie das Vorbild vor 350 Jahren geflochten haben. Die einen tragen die Vreneli-Frisur zu den normalen Alltagskleidern, andere dagegen stürzen sich stilecht in die Tracht – genau, in die Vreneli-Tracht.
In ihrer Schlichtheit unterscheidet sich diese grundlegend von einer landläufigen Berner Tracht. Statt einer prachtvoll geklöppelten Haube aus Rosshaar sieht sie für den Kopf nur ein kleines Hütchen vor, das Chälberdräckli. Die Schürze ist nur aus Halbleinen gefertigt und nicht aus Seide, und statt mit Silberketten schmücken sich die Trägerinnen mit verzierten Bändeln aus Samt.
Die einen tragen die Vreneli-Frisur zu den normalen Alltagskleidern, andere dagegen stürzen sich stilecht in die Tracht.
Das alles hat seine Gründe, wie Präsidentin Rita Anderfuhren nach ein paar Tänzen ihrer Trachtenleute erzählt: Die grosse Armut in der Region habe den Leuten früher keine andere Wahl gelassen, als sogar bei der Sonntagskleidung zu sparen. Deshalb sei der Rock ursprünglich auch so ungewöhnlich kurz gewesen: «Man konnte sich nicht mehr Stoff leisten.»
Ein paar Schritte weiter wird klar, von wo all die Vreneli-Frisuren herkommen. In einem Wintergarten hat Ursula Aebischer einen kleinen Coiffeursalon eingerichtet und flicht Zopf um Zopf. Rund zehn Minuten dauert die Verwandlung in ein Vreneli. Wer es auf die Spitze treibt, lässt sich gar ganz langes Kunsthaar in die Frisur einarbeiten und zu einem Zopf binden.
Entschuldigung, ist irgendwo auch Hans-Joggeli zu finden? Aber klar doch. Auf den ersten Blick bleibt Vrenelis unerreichbarer Geliebter am Märit eine einsame Einzelfigur, nur einer trägt die – richtig: Joggeli-Tracht. Umso intensiver lassen andere Männer die alten Zeiten aufleben. Werner Riesen etwa, der in traditioneller Handarbeit Schindeln herstellt. Mit einem speziellen Messer bearbeitet er die auf Schindellänge zugeschnittenen Holzstücke, spaltet sie so lange, bis die Plättchen dünn genug sind, Schindeldicke haben.
Oder Hans-Ulrich Lehmann und Markus Bölsterli. Die beiden stehen an ihren Drehorgeln und lassen die Melodie des «Guggisberglieds» erklingen. Es ist eine Premiere, denn ab Stange gibt es die Lochkarten nicht, die durch die Instrumente laufen. Sie wurden für den Märit eigens konzipiert und gestanzt.
Und schliesslich Bruno Blume. Der Schriftsteller lebt seit vier Jahren in der Gemeinde. Schon länger hatte er sich vorgenommen, das Geschehen, das seine neue Heimat prägt, zum Anlass für ein eigenes Projekt zu nehmen. Das Resultat dieser Arbeit liegt nun, genau richtig zum Vreneli-Märit, als Buch vor. Es verwebt die Geschichte von damals mit einer Geschichte von heute, will zeigen, dass ein Dorf von heute nicht wesentlich anders tickt als ein Dorf von damals.
Was vom Vreneli-Märit für die Zukunft bleiben wird? Nicht nur die Zuversicht, angesichts des regen Zulaufs den Anlass später erneut durchführen zu können. Hanspeter Schneiter ist Gemeindepräsident und Leiter des Projekts Vreneli-Dorf, mit dem sich Guggisberg seine berühmte Einwohnerin zunutze machen will. Er sagt: Der Märit sei ein erster konkreter Schritt, um Besucher und Leben ins Dorf zu bringen.
Weitere sollen folgen. Allem voran ein neuer Themenweg zum Guggershörnli und zurück: Er führt die Leute vom Dorf, wo Vreneli wohnte, zu den Höfen hinter den Berg, wo Hans-Joggeli daheim war – und macht so das Drama der beiden Verliebten für die Spaziergänger eins zu eins erlebbar.
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