TV-Kritik «Zervakis & Opdenhövel. Live.»So geht Infotainment
Eine Unterhaltungssendung, die gleichzeitig intelligent ist – funktioniert das? Eine neue Sendung im deutschen Privatfernsehen beweist es.

Die Technik ist langsamer als Linda Zervakis' Erleichterung, als das erste Thema geschafft ist. «Oah», hört man die Moderatorin durch das noch laut gestellte Mikrofon schnaufen, während sich das Studio verdunkelt und der nächste Einspieler auf den Bildschirmen aufleuchtet. Mit dem Satz «Wer soll unser Land regieren?» wuchtete sie die Show aus den Schicksals-Tiefen der verfolgten afghanischen Sängerin Aryana Sayeed zu einer Taxifahrt mit FDP-Politiker Wolfgang Kubicki und der kommenden Bundestagswahl.
Ein Moderationskraftakt für Schwergewichtler, der nicht ohne Scheppern über die Bühne ging. Was auch an der thematischen Fallhöhe und der vorherigen Gesprächsintensität liegt. Mutig, mit der Unterdrückung der Frauen durch die Taliban einzusteigen. In einem Format, das «eine Mischung aus Information und Unterhaltung» sein soll. Und mutig, wenn man weiss, dass man gleich Bierkrüge mit James Blunt heben soll.
Das Experiment klingt waghalsig und selbstbewusst: In direkter Konkurrenz zu Frank Plasbergs Polit-Talkmagazin «Hart aber Fair» auf dem Ersten moderieren jetzt jeden Montag auf ProSieben die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel zwei Stunden lang eine Sendung, die «informativ unterhalten» soll wie Senderchef Daniel Rosemann erklärte.
ProSieben folgt damit dem Trend der deutschen Privatsender, sich gestandene Seriositäts-Instanzen einzukaufen und mit ihnen an neuen Formaten zu experimentieren. RTL etwa warb Pinar Atalay, die die ARD-Tagesthemen moderierte, und «Tagesschau»-Chefsprecher Jan Hofer ab, um mit ihnen neue Nachrichtenkonzepte zu entwickeln. Opdenhövel und Zervakis Show ist als «Infotainment» klassifizert – ein Label, das geschickt unklar zwischen Jan Böhmermann, Joko Winterscheidt und Sandra Maischberger flaniert.
Mit dem Willen zur Zurückhaltung
Das Design jedenfalls strahlt den Willen zur Zurückhaltung aus, pastellrosa und türkise Serifenschrift, weit weg von den fiebrigen Grossbuchstaben, die ProSieben sonst gern an den Bildschirm klatscht. Dazu Zervakis' locker-leger im dunkelgrauen Hosenanzug mit weissen Pumps, Opdenhövel in dunklem T-Shirt und Jackett. Stylingtechnisch gelingt die Gratwanderung zwischen Ernst und Spass.
In ihrer letzten Sendung stand Zervakis für die ARD in einem eleganten, roten Blazer im Studio der deutschen Tagesschau, 15 Minuten, jede davon an die vorgeschriebene Moderation gebunden. Seit 2013 war sie dort Sprecherin, eine prestigeträchtige Position, die sie freiwillig aufgab. Angeblich habe sie beim öffentlichen Sender ein eigenes Sendungskonzept eingereicht, auf das sie nie eine Antwort bekommen habe. Was auch immer den Schritt ins Privatfernsehen bewogen hat – die neue Sendung kann man mit der Anerkennung betrachten, dass hier zwei etwas Neues probieren, mit dem Medium spielen
Die Gästewahl beeindruckt schon mal: Der afghanische Pop-Star Aryana Sayeed sitzt im Studio und berichtet von ihrer Flucht nach der Machtübernahme der Taliban. Ihre Geschichte erzählt der Film zuvor angemessen packend, ohne viel Schmiermittel, das ja zu genüge im Keller des Privatsenders lagert (Geigen, Zeitlupe, Kelly Clarkson). Man sieht Sayeed in schusssicherer Weste, die sie trägt, nachdem Geistliche in Afghanistan eine Fatwa über sie verhängt haben. Man sieht Originalaufnahmen vom Flughafen, man sieht die verhüllten Frauen in Vorlesesälen. Neben ihr ist die Journalistin und Autorin Düzen Tekkal zu Gast, die in Bezug auf die Zukunft der afghanischen Frauen glasklare Sätze sagt wie: «Die UN-Geberkonferenz bringt gar nichts.»
Mehr als zehn Minuten nehmen sich Opdenhövel und Zervakis für die beiden Frauen, das Gespräch ist aufrichtig und tatsächlich, wie es der Teaser versprach: Nah dran am Menschen.
Im Taxi mit Kubicki
Es folgt das Format «Road 2 Vote», in dem Politiker im Taxi sitzen, während Wähler über Politik diskutieren beziehungsweise granteln dürfen. Die herbstlichen Alleen Berlins ziehen am Taxifenster vorbei, die Gespräche wirken ohne Studiolicht authentisch, auch wenn es mehr um rotzige Statements als um Austausch geht.
Aber da wäre ja noch die Sache mit dem «-tainment». Der britische Popsänger James Blunt ist offensichtlich Gesandter der Unterhaltung. Zunächst gelingt die Kunst des geistreichen Small-Talks, als James Blunt den deutschen Brexit-Finger abwehrt: Nein, nein, die Briten seien nicht aufs deutsche Bier angewiesen. Leider folgt danach der obligatorische Niveau-Taucher. Die drei verlassen das Studiorund auf eine zur bayrischen Bierhalle geschmückten Nebenbühne zum Bier-Tasting.
Die ehemalige Nachrichtensprecherin Zervakis lacht, nippt und schmeckt, ohne an Natürlichkeit einzubüssen. Dieses Genre-Gezwinker Richtung Joko und Klaas hätte man ertragen, wäre nicht noch die Irrsinnsaktion gefolgt, James Blunt gegen Matthias Opdenhövel im Masskrughalten antreten zu lassen. Beide können das recht gut. Beide können das recht lang. Blunt verleibt sich aus Langeweile die Dekowurst ein. Von der Pointe fehlt auch nach mehreren Minuten jede Spur.
Im letzten Block zeigt sich wieder die Stärke des Moderatorenduos. Das Thema besticht zwar nicht unbedingt durch Originalität – zu Gast ist eine Familie, die bei der Flutkatastrophe in Deutschland vor rund zwei Monaten alles verloren hat –, dafür gelingt es den beiden Gastgebern ohne Reality-Gier und Privatfernseher-Voyeurismus, das Paar so zu interviewen, dass es detailliert und spannend die schreckliche Flutnacht rekonstruiert. Im Gegensatz zum einführenden Film, der scharf an der Träne-komm-raus-Grenze schrammt, etwa wenn die Kamera im Pro7-Reflex auf die zusammengepressten Augen der weinenden Mutter zoomt.
Als am Ende Opdenhövel automatenhaft die Moderationsfloskel ausspuckt, «oh, so schnell sind zwei Stunden vorbei», entfährt Zervakis ein tiefironisches «Haha». Für niemanden verging diese Schluchtenwanderung «schnell». Schaut man aber auf das Experiment, kann man (Anfänger-Bonus eingerechnet) der Show nur zum Mut gratulieren. Man kann sich auf die Luft von oben freuen, die in leichten Brisen bereits um die Nase wehte. Und man kann angesichts der enorm Unterhaltungs-talentierten Linda Zervakis leise Richtung ARD nuscheln: Die habt ihr gehen lassen?
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