«Sie wollen mir die letzte Freiheit nehmen»
Peter K. ist einer der wenigen verwahrten Straftäter, die vor Gericht Recht bekommen haben: Bald wird er aus der Verwahrung entlassen und wegversetzt. Darüber freut er sich aber nicht etwa: Er will auf dem Thorberg bleiben.

Er geht langsam. Er keucht, kann kaum atmen, muss sich im Besucherraum auf dem Tisch abstützen, um sich von der Anstrengung zu erholen. «Ich muss kurz stehen bleiben, sonst drückt es mir die Lunge zusammen.» Zurückgelegt hat er nur ein paar Meter, aber schon das bringt ihn an den Rand der Erschöpfung.
Beim Anblick dieses gezeichneten alten Mannes in braungrauer Gefängniskluft und mit einer Schiene um die linke, von Arthrose geplagte Hand fragt man sich unweigerlich, ob das wirklich einer der gefährlichsten Verbrecher des Kantons Bern ist. Man kann es sich irgendwie nicht so recht vorstellen. Wobei der äussere Schein bekanntlich oft trügt.
Peter K. ist einer von 19 verwahrten Straftätern im Kanton. Er hat ein langes Vorstrafenregister, sass früher unter anderem fünf Jahre in einem Gefängnis in Frankreich ein. 2002 wurde er im Kanton Bern wegen Drogenhandels und einer Vergewaltigung, die er in den 1990er-Jahren begangen haben soll, zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren verurteilt. Er streitet diese Tat bis heute ab.
Peter K. spricht in klar strukturierten Sätzen, verstrickt sich nicht in Widersprüche.
Nach vollständig verbüsster Strafe entschied das Obergericht, dass er verwahrt wird. Seit bald elf Jahren sitzt K. auf dem Thorberg. Er wurde bereits mehrfach begutachtet, zuletzt im vergangenen Sommer. Der Experte bestätigte den Befund früherer Gutachten, wonach K. gemeingefährlich sei und als «Psychopath» gelte. In einem einzelnen Gespräch fällt das nicht weiter auf.
Peter K. spricht in klar strukturierten Sätzen, verstrickt sich nicht in Widersprüche. Er hat in einem dicken Ordner fein säuberlich alle Unterlagen zu seinem Fall sortiert. Dazu gehören Gerichtsurteile, Korrespondenz zwischen ihm und seinem Anwalt sowie diversen Behörden. Auch Zeitungsartikel sind dabei. Meistens solche, die ihn oder das Thema Verwahrung betreffen.
K. will wieder spazieren
Im Moment befindet sich K. im Kampfmodus. Mal wieder. Schon oft hat er um bedingte Entlassung aus der Verwahrung ersucht. Immer vergeblich. Bis jetzt: Sein letztes Gesuch wurde überraschenderweise gutgeheissen. Das Berner Obergericht ordnete Ende November 2016 auf Druck des Bundesgerichts die bedingte Entlassung an.
Zudem müsse überprüft werden, ob der Thorberg noch die richtige Strafanstalt für K. sei (wir berichteten).Das Urteil kam vor allem vor dem Hintergrund zustande, dass K. unter einer unheilbaren schweren Lungenkrankheit leide und deswegen sowie aufgrund seines fortgeschrittenen Alters keine unmittelbare Gefahr mehr für die Öffentlichkeit darstelle.
Peter K. gehört somit zu den wenigen Verwahrten, die ein positives Gerichtsurteil vorweisen können. Unzufrieden ist er mit den Behörden trotzdem. «Sie wollen mich jetzt in die JVA Solothurn stecken. Dort will ich aber nicht hin, ich will auf dem Thorberg bleiben.» Diese Aussage erstaunt. Die meisten Insassen wären wohl froh, sie könnten das als streng geltende Hochsicherheitsgefängnis möglichst schnell verlassen.
«Ich bin fast 70 Jahre alt. Es geht bergab mit mir, ich mache es nicht mehr lange. Ich habe nicht die Kraft, in einer anderen Vollzugsanstalt noch einmal von vorne anzufangen.»
Aber K. ist es ernst: Er will nicht weg vom Thorberg, zumindest vorläufig noch nicht. «Ich bin fast 70 Jahre alt. Es geht bergab mit mir, ich mache es nicht mehr lange. Ich habe nicht die Kraft, in einer anderen Vollzugsanstalt noch einmal von vorne anzufangen und das ganze Prozedere über mich ergehen zu lassen.»
Stattdessen fordert er, dass er die begleiteten Ausgänge sofort wieder aufnehmen kann, und zwar auf dem Thorberg. «Ich hatte hier ja schon vier begleitete Ausgänge», sagt er. Nachdem 2011 ein verwahrter Vergewaltiger und Mörder während eines begleiteten Ausflugs im Jura geflüchtet war, stoppte der Berner Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) alle begleiteten Ausgänge und Urlaube für Verwahrte und gefährliche Gefangene und führte eine neue Bewilligungspraxis ein.
Seither entscheiden nicht mehr die Gefängnisse über die Ausgänge, sondern das Amt für Freiheitsentzug und Betreuung. Mit dem Ergebnis, dass deutlich weniger Urlaube gewährt werden als früher.
Seit 2011 war K. nie mehr draussen. «Jetzt muss man mir dieses Recht aber wieder gewähren. So steht es im Urteil des Obergerichts.» Wobei festgehalten werden muss, dass K. vor fünfeinhalb Jahren gegenüber dieser Zeitung gesagt hatte, dass er begleitete Ausgänge nicht sehr möge und häufig freiwillig darauf verzichte.
Nun scheint er aber realisiert zu haben, dass solche Ausgänge Teil der vorgeschriebenen Haftlockerungen sind, bevor eine Freilassung überhaupt infrage kommt. Er will das Angebot deshalb wieder nutzen.
In einem Brief erklärte die Thorberg-Leitung K., dass die Anstalt zwar begleitete Ausgänge anbiete, dass diese in der Praxis vor allem aufgrund mangelnder personeller Ressourcen jedoch oft nur schwer durchführbar seien. «Wir bemühen uns aber, solche begleitete Ausgänge nach Möglichkeit durchzuführen, und ziehen zur Unterstützung die Kantonspolizei bei», ergänzt die stellvertretende Thorberg-Direktorin Beatrice Georg.
Anwalt: «Rückschritt»
Die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug des Berner Amtes für Justizvollzug kündigte K. in einem Brief an, dass man ihn voraussichtlich Mitte März nach Solothurn überstellen werde. Unter anderem mit der Begründung, dass dort die Aussicht auf begleitete Ausgänge besser sei. Dagegen hat sein Anwalt nun schriftlich protestiert.
Er argumentierte, dass die Verlegung von einem «Hochsicherheitsgefängnis ins andere» einen Rückschritt bedeuten würde. Zumal das Obergericht festgehalten habe, dass Vollzugslockerungen anzustreben seien. Und da es sich bei der JVA Solothurn ebenfalls um eine rein geschlossene Anstalt handle, sei diese Verlegung sicher nicht im Sinn seines Klienten und des Berner Obergerichts.
«Auf dem Thorberg geniesse ich auf meiner Abteilung gewisse Freiheiten, die ich in Solothurn nicht hätte.»
«Auf dem Thorberg geniesse ich auf meiner Abteilung gewisse Freiheiten, die ich in Solothurn nicht hätte. Ich habe die dortige Hausordnung studiert, da wird einem ja schlecht», sagt K. Auf dem Thorberg ist seine Zellentür den ganzen Tag offen, er kann sich frei bewegen. «Es wird einmal im Monat gar ein Kochkurs angeboten.» Zudem hat er neben einem Fernseher auch einen eigenen Mietcomputer – natürlich ohne Internetzugang – und einen Scanner in seiner Zelle.
«Das ist mir sehr wichtig. Das ist die einzige Freiheit, die mir geblieben ist. Und die wollen sie mir jetzt wegnehmen.» Denn in Solothurn werde er vermutlich keinen eigenen PC haben. Weil er wegen seiner Krankheit seit einiger Zeit nicht mehr arbeiten könne, sei er quasi an seine Zelle gefesselt und könne nicht viel anderes tun, als vor dem TV oder dem PC zu sitzen.
Seine Forderung: Nach der unverzüglichen Wiederaufnahme der begleiteten Ausgänge und bei gutem Verlauf will K. vom Thorberg in eine offene Form des Vollzugs wechseln, wo die weiteren Haftlockerungen in Angriff genommen werden könnten. Er könnte sich dafür etwa das Vollzugszentrum Klosterfiechten in Basel oder die JVA Witzwil vorstellen.
Kanton relativiert
Das Berner Amt für Justizvollzug bestätigt auf Anfrage, dass die Einweisungsbehörde dabei sei, das Obergerichtsurteil umzusetzen. Jedoch relativiert Stabschefin Nicole Wey: «Dabei ist die Versetzung in die JVA Solothurn eine mögliche Variante.» Offenbar ist der Verlegungsentscheid noch nicht sakrosankt.
Offenbar ist der Verlegungsentscheid noch nicht sakrosankt.
Egal, ob K. auf dem Thorberg bleibt, nach Solothurn wechselt oder später in Witzwil landet: Viele Stationen wird es für ihn ohnehin nicht mehr geben. Und obwohl das Urteil des Berner Obergerichts eigentlich gleichbedeutend mit einer späteren Freilassung ist, so weiss K. doch: «Ich werde nie wieder ganz frei sein.»
Ihm ist bewusst, dass die Gesellschaft die Entlassung von verwahrten Straftätern in die Freiheit nicht gutheisst und dass die Hürden selbst nach positiven Urteilen sehr hoch sind. Und vor allem weiss Peter K.: Seine Krankheit wird vermutlich schneller über seine Zukunft entscheiden als jede behördliche Instanz.
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