Sie verkaufen ein gutes Gewissen
Die Organisation Greenpeace kritisiert Gazprom, weil der Konzern die Arktis ausbeuten will. Doch nach Erdöl sind wir alle durstig.

Seine Aktion war ein Wagnis: 1987 landete Mathias Rust in einer Cessna vor dem Roten Platz in Moskau – unbehelligt. Der damals 19-jährige Deutsche blamierte so mitten im Kalten Krieg die Sowjetunion. Es war ein Flug für den Frieden, für eine bessere Welt. Zu einem hohen Preis allerdings: Rust wurde zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt, dank Begnadigung kam er nach 14 Monaten frei.
26 Jahre später sitzt ein Schweizer Idealist in Russland hinter Gittern: Marco Weber und 27 weitere Greenpeace-Aktivisten kommen vor Gericht, weil sie versucht haben, eine Bohrinsel des russischen Energieriesen Gazprom in der Barentssee zu erklettern. Auch diese Aktion war ein Wagnis. Ein Protest gegen Ölbohrungen in der Arktis. Die Erschliessung von Erdöl in diesen hochsensiblen Gewässern ist kostspielig und langwierig, der wirtschaftliche Erfolg ungewiss und das Risiko für die Umwelt beträchtlich. Die Greenpeace-Aktivisten machten auf ein ernsthaftes Problem aufmerksam.
Doch die öffentliche Debatte hat sich auf das Drama verengt, das sich nun in Russland abspielt: junge Menschen, ausgestellt in Schaukäfigen. David gegen Goliath. Gut gegen Böse. Bezeichnend: Ohne Proteststürme zu provozieren, weilten vorgestern Vertreter von Gazprom in Zürich – auf der Suche nach Kapital. Die Medien arbeiten mit Zuspitzungen, Greenpeace liefert sie: Frauen und Männer, jung und gut gebildet, werden zu «Öko-Kriegern», die «mutig» dem «aggressiven» Feind trotzen. Auch die Aktivisten kultivieren dieses Bild: In seinem Brief aus dem Gefängnis geisselt Weber die Profitgier «einzelner Länder und Unternehmen» und ruft dazu auf, «für eine Zukunft der kommenden Generationen zu kämpfen».
Perfekte PR-Maschine
Von dieser Inszenierung profitiert in erster Linie Greenpeace selber. Noch selten hat die Organisation in ihrer 42-jährigen Geschichte so viel Wohlwollen erfahren wie jetzt – der perfekte Zeitpunkt, um Spenden zu sammeln und neue Mitglieder zu gewinnen. Protestaktionen als reiner Selbstzweck? Selbst unter Umweltschützern entfacht diese Frage Kontroversen. Der Kanadier Paul Watson, ein Greenpeace-Aktivist erster Stunde, spricht von einer PR-Maschine, die den Menschen ein gutes Gewissen verkaufe. Er hat die Organisation deshalb verlassen.
Man muss Watsons Meinung nicht teilen; unbequeme Fragen stellen sich auch so. Die Welt ist komplexer, als es viele Umweltschützer glauben machen. Nicht nur Gazprom, auch internationale Unternehmen wie Shell und Statoil wollen die Bodenschätze in der Arktis ausbeuten. Unsere Welt dürstet nach Erdöl, weil sie darauf gebaut ist. In Kleidern, im Tank, im Computer – Erdöl, überall. Ein Schweizer verbraucht davon im Durchschnitt 5 Liter pro Tag. Zum Vergleich: Milch trinkt er nur 2 Deziliter, 25-mal weniger. Er verantwortet also mit, was in der Arktis geschieht – eine unangenehme Wahrheit, die sich schlechter verkaufen lässt als Action auf hoher See. Effekthascherei bringt den Umweltschutz jedoch kaum weiter. Wird nun weniger Erdöl gefördert, die Arktis rigoros geschützt? Auch beim Moskau-Flieger Rust stellten sich 1987 Fragen dieses Zuschnitts. Seine Aktion brachte den erhofften Weltfrieden nicht, zeitigte aber gleichwohl Folgen: Der russische Verteidigungsminister und etliche Generäle mussten abtreten. Rust hatte unfreiwillig Michail Gorbatschow in die Hände gespielt. Der Staatspräsident nutzte die Blamage seiner Armee, um mit unliebsamen Gegnern seiner Perestroika-Politik abzurechnen.
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