Sie strebt nach höheren Zielen als dem Sieg
Daniela Ryf will auf Hawaii in der Nacht auf Sonntag ihren vierten Ironman-WM-Titel in Serie holen. Mit frischer Energie tritt sie diese Saison wieder überragend auf und ist ungeschlagen.

Auf Hawaii läuft die Woche der Worte, der vollmundigen Ankündigungen und Versprechen. Das Training ist in den Tagen vor dem Ironman-WM-Rennen erledigt, entsprechend haben die Profis Zeit für öffentliche Verpflichtungen, für Sponsoren und Medien. Niemand erzählt nun von einer schwierigen Vorbereitung oder gar einer Verletzung. Sondern einzig von der eigenen Topform. Daniela Ryf ist da keine Ausnahme. Als die Titelverteidigerin nach ihrem Trainingslager auf Maui Anfang Woche nach Big Island reist, wo der Ironman heuer zum 40. Mal stattfindet, meldet sie: «Alles ist nach Plan gelaufen, die grosse Arbeit ist erledigt.»
Bis zum Samstagmorgen (18.35 Uhr MEZ) noch dominieren die Worte, dann gibt die Kanone am Pier den Startschuss für die Taten während gut acht Rennstunden. Es gilt, möglichst schnell 3,8 Kilometer zu schwimmen, 180 Kilometer Rad zu fahren und 42 Kilometer zu laufen.
«Ein ausserordentliches physisches Exemplar»
Viele träumen davon, auf Hawaii das Rennen der Saison – oder noch besser: der Karriere – zu zeigen. Ryf träumt nicht. Sie will abrufen, was sie sich im Training erarbeitet hat. Das reicht, um die Konkurrenz zu dominieren – 2018 ist sie ungeschlagen.
Die 31-Jährige wechselte 2014 auf die Langdistanz und wurde bei ihrem Hawaii-Debüt gleich Zweite; sie wurde erst auf den letzten Kilometern von Mirinda Carfrae gestellt. Seither verliess sie Big Island dreimal als Siegerin. Das gelang ihr, weil sie als Langdistanztriathletin komplett ist – stark im Schwimmen und Laufen, überragend auf dem Rad.
«Es geht um das Training als Ganzes. Auch wenn du müde bist, auch wenn du Muskelkater hast.»
Natürlich glauben ihre Herausfordererinnen an die eigene Chance, hoffen auf eine ryfsche Schwäche. Für die Konkurrenz ist es besser, dass die Dinge, die Ryfs Trainer Brett Sutton daheim im fernen St. Moritz erzählt, bis zum Renntag kaum bis nach Hawaii durchdringen werden. «Ich bin sehr glücklich. Ich war nie glücklicher – und zuversichtlich», sagt der Australier, der auch die zweite Schweizer Ausnahmetriathletin, Olympiasiegerin Nicola Spirig, betreut und sich sonst mit öffentlichem Lob eher zurückhält.
Sutton bezieht seine Aussage auf den Wandel, den Ryf im Vergleich zur vergangenen Saison durchgemacht hat. Damals hatte ihr Körper bereits im Frühling rebelliert, die Muskulatur im unteren Rücken verkrampfte sich immer wieder. Selbst «ein ausserordentliches physisches Exemplar» wie Ryf (O-Ton Sutton) hat seine Limiten, und an diese hatte die Triathletin ihren Körper gebracht, indem sie sich zwei Winter lang keine Pause gegönnt hatte. Nicht wegen ihres Trainingsfleisses, sondern wegen höchst lukrativer Rennen, unter anderem gewann sie einen 1-Million-Dollar-Jackpot.
Der Blick nur auf die Linie – bringt 10 Watt
Deshalb mogelte sie sich durch die Saison 2017, gewann trotzdem auf Hawaii – aber ohne wie üblich zu dominieren. «Sie absolvierte das ganze Jahr nur fünf richtige Ironman-Trainingswochen», sagt Sutton. Deshalb verordnete er Ryf vor dieser Saison drei Monate Pause. Es brauchte Zeit, bis sich die Athletin damit abfinden konnte. Doch der Trainer konnte sie überzeugen, weil er fatalistisch argumentierte: «Ohne Pause wäre dies ihre letzte Saison gewesen.»
Nun blicken die beiden weiter, sicher bis 2021 – vergessen aber die Gegenwart nicht. Ryf suchte aerodynamische Verbesserungen im Windkanal und auf der Rennbahn. Die Trinkflaschen sind nun hinter dem Sattel angeordnet statt am Rahmen, 8 Watt gewinne sie damit, «das macht auf 180 Kilometern zwei bis drei Minuten». Und wenn sie dazu noch den Kopf tief zwischen die Schultern drücke, erzählt Ryf, den Blick nur auf die Linie am Strassenrand gerichtet, seien das weitere 10 Watt.
Die absoluten Zahlen aus Ryfs Mund erstaunen. Denn im Alltag fehlen diese komplett. Das Gefühl ist ihr einziger Indikator. Die Trainings absolviert sie aufgrund der Anweisungen von Sutton, der ihr eine gewisse subjektive Intensität vorschreibt – oder die Einheiten so gestaltet, dass deren einziger Sinn es ist, sie zu absolvieren. «Es gibt bei uns keine Schlüsseltrainings. Es geht darum, das Training als Ganzes zu absolvieren, auch wenn du müde bist, auch wenn du Muskelkater hast», sagt Ryf. Es gibt Tage, an denen sie sich fragt, wie sie die folgende Einheit überhaupt überstehen solle. «Dann trinke ich etwas mit Koffein – und es geht wieder.» Entsprechend empfindet sie Trainings oft anstrengender als Wettkämpfe. Weil sie dort frisch und erholt antreten kann.
Sie will wieder fliegen, wie beim Rekord 2016
Sutton führt aber sehr wohl Buch über die Einheiten. «Ich schreibe mir den Inhalt jedes Trainings auf. Aber mich interessieren weder Kilometer noch Watt», sagt er. Blättert er in seinen Aufzeichnungen dieses Jahres und vergleicht dann mit dem, was Ryf nun zu leisten bereit ist, staunt selbst er. «Ich hätte nie gedacht, dass sie nach der Pause dieses Niveau erreichen würde.» 2018 hätte in seinem Kopf ein Übergangsjahr werden, Ryf 2019 wieder richtig angreifen sollen.
Stattdessen spricht Ryf schon jetzt vom Gefühl des Fliegens, wenn es um das WM-Rennen geht. 2016 erlebte sie das bei ihrer dominantesten Vorstellung auf Hawaii, als sie mit Streckenrekord und 24 Minuten Vorsprung gewann. «Die Zahl meiner Hawaii-Siege ist für mich zweitrangig. Ich will ein spektakuläres Rennen zeigen», sagt sie.
Wer die Konkurrenz derart dominiert, muss sich andere Ziele setzen.
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