Emmentaler UnihockeyspielerinSie kämpft um Menschenleben –
und um WM-Gold
Lisa Liechti trägt im Beruf und im Sport viel Verantwortung. Sie ist Rettungssanitäterin und Unihockey-Nationalspielerin. Ab Samstag spielt sie ihre dritte WM.

Es gibt Niederlagen, die fühlen sich an, als sei einem gerade das Schlimmstmögliche widerfahren – als breche die Welt zusammen. Lisa Liechti kennt dieses Gefühl, diese Gedanken, die den Sport auch ausmachen. Ab und an sagt sich die Bernerin in solchen Momenten: «Ja, es ist schlimm, und doch eine Bagatelle im Vergleich zu dem, was ich während der Arbeit gesehen und erlebt habe.»
Liechti ist Unihockey-Nationalspielerin und das Gesicht der Skorpions Emmental-Zollbrück. Sie hat nie für einen anderen Verein gespielt – die Saison 2011/12 ausgeklammert, als sie mittels Doppellizenz bei den Burgdorf Wizards Einsätze erhielt.
«Früher war unser Verein in der Unihockeywelt nicht präsent. Nun wird mehr erwartet.»
Die Verteidigerin erlebte den Aufstieg in die höchste Liga, die sukzessive Steigerung vom Abstiegskandidaten zum Spitzenteam in der Nationalliga A. Genau das sind die «Skorps» mittlerweile. Sie kämpften im Frühling gegen Kloten-Dietlikon um den Titel, unterlagen im Superfinal 2:4. Zurzeit liegen beide Equipen in der Tabelle deutlich vor der Konkurrenz.

Professioneller sei der Verein geworden, sagt Liechti. Sie nennt die Spielerinnen, die «stärker gefördert und gefordert» würden; den «sehr ambitionierten Headcoach» Lukas Schüepp; den Philosophiewechsel, wonach die Verantwortlichen seit zwei Saisons nicht mehr ausschliesslich auf eigene Akteurinnen setzen, sondern das Team mit Ausländerinnen ergänzen. «Früher war das kein Thema, der Verein in der Unihockeywelt nicht wirklich präsent. Dank der Teilnahme am Superfinal wird mehr erwartet. Den gestiegenen Ansprüchen wollen wir gerecht werden.»
Kommt der Notruf, rückt Liechti aus
Liechti ist Captain, 27 Jahre alt, eine Spielerin, die nicht aufs Maul sitzt, sondern Verantwortung übernimmt, motiviert, kritisiert, das Team zusammenhält, Leistung bringt. Sie steht nicht im Verdacht, die Bedeutung des Unihockeys gering zu schätzen – im Gegenteil. Sport ist ein wichtiger Teil ihres Lebens. Doch sie weiss: Das Leben an sich ist wichtiger. Die Langnauerin arbeitet zu 100 Prozent als Rettungssanitäterin. Früh- und Nachtschicht, kombiniert mit all den Trainings und Partien: Anspruchsvoll sei das, sagt Liechti, es bedinge viel Organisation und Disziplin.
«Was ist schlimm? Für Betroffene ist fast jede Situation eine Ausnahmesituation.»
Trifft der Notruf ein, rückt die 27-Jährige aus. Verkehrsunfälle, medizinische Notfälle, menschliche Schicksale: Was sie hautnah erlebt, darf nicht zu stark unter die Haut gehen. Liechti muss unter Extrembedingungen professionell arbeiten und «funktionieren» – so schlimm die Umstände auch sein mögen. «Was ist schlimm?», fragt die Emmentalerin. «Für Betroffene ist fast jede Situation eine Ausnahmesituation, weil sie auf fremde Hilfe angewiesen sind und sich in einer ungewohnten, für sie gefährlichen Lage befinden.»
In ihrer Arbeit orientiert sie sich an einem Leitsatz aus ihrer Ausbildung: «Egal, was passiert ist: Wir sind dafür nicht verantwortlich. Aber wir können das Bestmögliche tun, um zu helfen.»
Liechti sagt, viele Tugenden aus dem Job seien auch im Unihockey von hohem Wert: sich in Stresssituationen ruhig verhalten, flexibel sein, auf Unerwartetes reagieren, nicht preisgeben, wie es innen aussieht.
Auf das Wunder soll das Märchen folgen
Die letzte Unihockey-WM 2019 in Neuenburg bot für die Umsetzung viel Gelegenheit. Liechti und die Schweizerinnen reagierten auf Unerwartetes, etwa den 2:6-Rückstand im Halbfinal gegen Tschechien. Sie behielten trotz Stress die Ruhe, erzielten in den letzten zwei Minuten vier Tore, siegten 7:6 nach Verlängerung und schufen das «Wunder von Neuenburg». Und sie kontrollierten die starken Emotionen.
Letzteres beeindruckte Liechti am meisten: «Einzig nach den Spielen öffneten wir den Raum, liessen Gefühle zu. Es war beeindruckend, zu spüren, was du alles ausblenden kannst. Als die WM vorbei war, ich zu Hause ankam, fiel alles zusammen.»
«Mit diesem Team können wir den entscheidenden Schritt machen.»
Trotz des «Wunders» im Halbfinal wurde die Heim-WM nicht zum Märchen: Im Final unterlag die Schweiz den Schwedinnen 2:3 nach Verlängerung. Nun stehen die nächsten Titelkämpfe an. Am Donnerstag flog das Team nach Stockholm. Die Weltmeisterschaft findet 70 Kilometer weiter nördlich in Uppsala statt.

Zum dritten Mal steht Liechti im Schweizer WM-Kader. Trainer Rolf Kern hat es geschafft, das Gros der Auswahl für eine weitere Kampagne zusammenzuhalten. 14 Spielerinnen waren bereits 2019 dabei. «Es ist schwierig, abzuschätzen, wo wir spielerisch stehen», erklärt die Verteidigerin. «Aber ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Team den entscheidenden Schritt machen können.»
Irgendwann im Gespräch sagt Lisa Liechti: «Eigentlich will ich immer das Beste rausholen – sei es für ein Menschenleben oder den sportlichen Erfolg.»
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