Arbeitsunfälle bei Amazon«Sie arbeiten wie durchgeknallte Roboter»
Zum Start des heutigen Prime Day kritisiert die grösste britische Gewerkschaft «die Unmenschlichkeit der Arbeitsbedingungen in Amazon-Lagerhäusern» – an deutschen Standorten wird gestreikt.

Während zweier Tage lockt Amazon wieder mit Schnäppchenpreisen zum weltweiten Prime Day – einem der wichtigsten Verkaufstage des Jahres für den Onlinegiganten. Und just an Tagen wie diesen steige die Zahl von Verletzungen der Amazon-Angestellten massiv an, hält die grösste Gewerkschaft Grossbritanniens, die GMB, in einer Studie fest.
Während die Konsumlust der Kunden ins Extreme steigt, steigt der Studie zufolge auch die Zahl der Notrufe und der damit verbundenen Einsätze von Spitalautos in den Lagerhallen des Einzelhandelsriesen. Dies gelte sowohl für den Prime Day als auch für den Black Friday im November und Weihnachten. Insgesamt wurden zwischen 2015 und 2018 mehr als 600 Spitalautos in die Amazon-Lagerhäuser gerufen, so die GMB. Etwa ähnlich hoch sei die Anzahl von schweren Verletzungen oder Beinahe-Unfällen verzeichnet worden.
Man habe Beweise dafür, dass Mitarbeiter während ihres Dienstes bewusstlos wurden, verunfallten und sich Knochenbrüche zuzogen oder Atemprobleme bekamen. Selbst Schwangere sollten gezwungen worden sein, stundenlang zu stehen.

«Wir wissen, dass die Abfertigungszentren von Amazon gefährliche und stressige Arbeitsorte sind, sagt Gewerkschaftsfunktionär Mick Rix zur britischen Studie. «Im Vorfeld von wichtigen Verkaufsevents wird die Unmenschlichkeit der Arbeitsbedingungen auf die Spitze getrieben. Von den Arbeitern wird erwartet, dass sie wie durchgedrehte Roboter arbeiten, die in rasendem Tempo sortieren und verpacken, um unrealistische Ziele zu erreichen.»
Anti-Gewerkschafts-Propaganda auf dem WC
Der Internetriese, der derzeit etwa 1,2 Millionen Angestellte beschäftigt, dementiert die Vorwürfe. Die Arbeiter seien nicht gefährdet: «Unsere Kritiker scheinen entschlossen zu sein, ein falsches Bild davon zu zeichnen, wie es ist, für uns zu arbeiten. Sie wiederholen immer wieder die gleichen sensationslüsternen Behauptungen», so ein Amazon-Sprecher.
Dass Gewerkschaften bei Amazon nicht erwünscht sind, ist indes bekannt. Erst im April dieses Jahres kam es im US-Bundesstaat Alabama zu einer historischen Abstimmung über eine vermeintlich erste Amazon-Gewerkschaft in den USA. Die Mehrheit der Angestellten im Lagerhaus in der Ortschaft Bessemer votierten jedoch gegen eine Gewerkschaft. Dabei wurden Vorwürfe laut, dass Amazon im Vorfeld der Abstimmung mit verschiedenen Methoden die Wahl beeinflussen wollte – sogar auf den Toiletten sollen überall Anti-Gewerkschafts-Plakate gehangen haben.
Mindestens 12 Euro brutto pro Stunde
Die deutsche Gewerkschaft Verdi kritisiert, dass während der Aktionstage, an denen Amazon Milliardenumsätze mache, «den Kundenansturm die Beschäftigten in den Versandzentren bewältigen müssen und für die zusätzlich verschärfte Arbeitsbelastung keinen Cent mehr bekommen». Deshalb rief Verdi in Deutschland zum Streik in den Amazon-Standorten in Werne, Leipzig, Rheinberg, Bad Hersfeld, Koblenz und Graben auf.
Amazon erklärte, der Konzern erwarte keine Auswirkungen auf die Kundinnen und Kunden. Amazon biete bereits «eine exzellente Bezahlung, exzellente Zusatzleistungen und exzellente Karrierechancen – und das alles in einer sicheren, modernen Arbeitsumgebung». Ein Sprecher verwies darauf, dass die Einstiegslöhne für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im deutschen Logistiknetzwerk ab Juli auf umgerechnet mindestens zwölf Euro brutto pro Stunde steigen würden. Zudem zahle Amazon eine Sondervergütung für Überstunden, eine Lebens- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung sowie Beiträge zur betrieblichen Altersvorsorge.
Verdi nannte die angekündigte Erhöhung der Einstiegsgehälter auf zwölf Euro pro Stunde am Sonntag «zynisch und fern von Anerkennung und Respekt». Amazon benehme sich «wie ein Gutsherr», der bei guter Laune «ein paar Wohltaten für seine Tagelöhner übrig hat». Von der deutschen Regierung fordert die Gewerkschaft, den Weg zu einer Allgemeinverbindlichkeit der tarifvertraglichen Bestimmungen zu erleichtern, sodass alle Unternehmen der jeweiligen Branche daran gebunden sind.
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