Seine Majestät gehen rückwärts
Der thailändische König Rama X. zeigt absolutistische Züge. Zwei Infanterieregimenter unterstehen jetzt direkt seinem Befehl.

Der König gibt, der König nimmt. Und er tut es vor den Augen eines ganzen Volks, das so etwas noch nicht gesehen hat. Die Aufregung in Thailand wird sich nicht so schnell legen, nachdem Anfang der Woche eine Mitteilung aus dem Palast im Fernsehen verlesen wurde. Die Sprecherin sass in goldfarbenem Kleid vor goldfarbenem Hintergrund, und sie verkündete ohne sichtliche Regung, dass Seine Majestät, Rama X., seiner Zweitfrau alle königlichen und militärischen Titel aberkannt habe. Nicht einmal drei Monate hatte sie den Rang einer königlich-adeligen Gemahlin inne, neben der Königin, die der Monarch im Mai geheiratet hatte. So erlebte Thailand in den vergangenen drei Monaten den steilen Aufstieg und jähen Fall einer Konkubine.
Erst im Juli hatte der Monarch seine Geliebte in aller Öffentlichkeit zu sich in den Palast geholt. In ein purpurfarbenes Kleid gehüllt, lag sie bei der Zeremonie ihrer Ernennung ausgestreckt zu des Königs Füssen. Später gab der Palast 60 Fotos der neuen Zweitfrau heraus. Diese zogen so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass die Website abstürzte. Konkubine im Kampfjet. Konkubine in Camouflage neben König mit weissem Pudel. Nun sind alle Bilder wieder verschwunden von der Website, als habe es die Konkubine nie gegeben.
Wo sich Sineenat Wongvajirapakdi, die zuvor den Rang eines Generalmajors trug, seit ihrer schmachvollen Degradierung befindet, weiss man nicht. In Thailand mutmassen viele, sie sitze im Gefängnis. Allerdings verbietet ein drakonisches Gesetz, den König und dessen Familie zu kritisieren. Majestätsbeleidigung wird mit Haft bis zu 15 Jahren bestraft. So darf in Thailand jetzt auch niemand danach fragen, was mit der verstossenen Gemahlin geschehen ist. Belange des Hofes können öffentlich nicht diskutiert werden.
Gleichwohl spiegelt sich im Schicksal der Konkubine eine Botschaft, der sich niemand in Thailand entziehen kann. Sie ist beispiellos in der jüngeren Geschichte des Königtums. Und sie kündet von der unumschränkten Macht eines Monarchen, der vorwärts in die Vergangenheit zu steuern scheint. Jahrhundertelang standen absolutistische Herrscher an der Spitze des einstigen Siam. Erst 1932 wurde das Königreich in eine konstitutionelle Monarchie umgewandelt. Als Rama X. im Juli offiziell eine Zweitfrau ernannte, verblüffte das. Zuletzt hatte das Rama VI. getan, im Jahr 1920.
Absolutistische Tendenz
Was das alles bedeutet? Tamara Loos, die thailändische Geschichte an der Cornell University in New York lehrt, sagt: «Wir beobachten möglicherweise, wie Thailand in den Absolutismus abgleitet.» Die Historikerin nennt dafür mehrere Belege. Die Berufung und abrupte Degradierung einer Zweitfrau ist nur das jüngste und augenfälligste Indiz. Zuvor gab es andere Schritte, die so eine Interpretation nahelegen. Als König Bhumibol 2016 gestorben war, liess sein Sohn und Nachfolger bald das Crown Property Bureau, die königliche Vermögensverwaltung, unter seine direkte Kontrolle stellen. Geschätzter Wert: mehr als 30 Milliarden Dollar.
Anfang Oktober ordnete er ausserdem an, zwei Infanterieregimenter seinem direkten Kommando zu unterstellen. Zwar ist der König formal ohnehin der Oberbefehlshaber aller Streitkräfte, doch mit dem jüngsten Transfer umgeht er die traditionelle Befehlskette.
«Er häuft eine Privatarmee an», sagt Historikerin Loos. Sollte dieser Schritt auf mögliche Brüche im Verhältnis zwischen Militär und Monarch hinweisen, so wird dies in Thailand aufgrund strenger Gesetze nicht hinterfragt. Zu den Ambitionen des Königs sagt Expertin Loos: «Er versucht, direkte Macht auszuüben, was man in einer konstitutionellen Monarchie nicht erwarten würde. In diesem Sinne unterscheidet er sich sehr vom Vater, der seine Macht indirekt ausübte.»
Vorgänger Bhumibol hatte Thailand mehr als ein halbes Jahrhundert geprägt. Dabei festigte er die Allianz zwischen Monarchie und Militär. Zwei Jahre vor seinem Tod putschte die Armee mit der Begründung, sie müsse das zunehmend gespaltene Land einen. Das Militär kontrolliert die Regierung noch immer, doch rätseln nun viele über das Verhältnis der Generäle zum Monarchen, der an einer Privatarmee arbeitet. Bislang war die Allianz zwischen Armee und König zum Vorteil beider.
Dissidente werden verfolgt
Die Degradierung Sineenats wird damit begründet, dass sie sich «illoyal und undankbar gegenüber der Güte Seiner Majestät» gezeigt habe. Sie soll versucht haben, sich selbst zu erhöhen. Ihr Verhalten habe die Bediensteten entzweit. Der König wirft ihr Sabotage gegenüber ihrem Land vor. «Die brutale Sprache, die der Hof einsetzte, um Sineenat anzuprangern, zeigt, wie der König die Strafe für sie legitimieren möchte», sagte Politologe Pavin Chachavalpongun dem britischen Nachrichtensender BBC. Der Gelehrte lebt im Exil in Japan. Im August wurde er dort von einem maskierten Unbekannten attackiert. Er ist nicht der einzige Kritiker der Junta und des Monarchen, der der Verfolgung ausgesetzt ist. 2016 und 2017 verschwanden zwei Dissidenten in Laos.
Der 67-jährige König ist zum vierten Mal verheiratet, im Mai machte er die inzwischen 41-jährige Suthida zur Königin. Als er sich von seiner dritten Frau scheiden liess, kamen deren Eltern und Brüder in Haft. Über das Schicksal der in Ungnade Gefallenen weiss man wenig. Jene, die sich intensiv mit dem Königshaus beschäftigen, sagen, es gehe ihr nicht gut. Der 14-jährige Sohn aus dieser Ehe wächst unter der Obhut des Königs in Deutschland auf, Rama X. besitzt ein Anwesen in Bayern, wo er viel Zeit verbringt. Von weiteren männlichen Nachkommen aus zweiter Ehe hat sich der König losgesagt, sodass Prinz Dipangkorn nun als einziger Erbe auf den thailändischen Thron gilt.
Die Degradierung der Konkubine hat eine Flut kritischer Posts in den sozialen Medien ausgelöst.
Die Degradierung der Konkubine hat eine Flut sarkastischer Posts in den sozialen Medien Thailands ausgelöst, trotz drakonischer Gesetze und Cyber-kontrollen. Quellen in Thailand bestätigen, dass in den Stunden nach dem Fall Sineenats mehr als eine Million Posts allein aufTwitter auftauchten, bevor sie in der Nacht darauf gelöscht wurden.
Ein Nutzer auf Twitter schrieb: «Wenn ich ins Gefängnis gehe, werde ich nicht einsam sein, ich werde viele Freunde haben.» Deshalb tauchen nun Fotos grosser Menschenansammlungen in den Posts auf, Leute, die irgendwo in einer Schlange stehen. Diese Bilder sind zu einem Code geworden: «Als stünden wir alle in einer Reihe, um ins Gefängnis zu gehen», sagt eine Thailänderin. «Mit solchen Bilder drücken die Leute ihre Angst aus.»
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