Sein Glaube hielt auch Hitler stand
Das Werk des vor 50 Jahren verstorbenen Schweizer Theologen Karl Barth bleibt weiterhin aktuell. Eine neue Biografie schildert kenntnisreich die Karriere eines politisch engagierten Intellektuellen.

Karl Barth (1886–1968) verfügte über ein ausgeprägtes Sensorium für politische Fehlentwicklungen und Radikalisierungen. Als die Vorboten des Ersten Weltkriegs am europäischen Horizont auftauchten, musste er mit Schrecken feststellen, dass die meisten deutschen Theologieprofessoren, bei denen er in Berlin, Tübingen und Marburg studiert hatte, in den Kriegschor einstimmten. «Es wird eine germanische Kampfreligion in Kraft gesetzt, christlich verbrämt durch viel Reden von ‹Opfer› etc. Ich sehe, wie eure Philosophie und euer Christentum nun bis auf wenige Trümmer untergeht in dieser Kriegspsychose.» Die Ethik, so Barths scharfsinnige Beobachtung, habe sich in die Schützengräben begeben.
Reise- und Redeverbot
Als Adolf Hitler 20 Jahre später an die Macht kam und die Professoren, zu denen mittlerweile auch Karl Barth gehörte, aufgefordert wurden, vor ihren Vorlesungen den Führer mit «Heil Hitler!» zu grüssen, weigerte sich der Schweizer standhaft. Dem Kultusminister gegenüber bezeichnete er den Hitlergruss als «Symbolhandlung der Anerkennung des Totalitätsanspruches». Eine solche Haltung sei ein Verrat am Evangelium.
Was als Geburtsstunde der Bekennenden Kirche bezeichnet werden kann, bedeutete für den «Fremdling aus Neutralien» das vorläufige Ende seiner Karriere in Deutschland: Barth wurde 1934 vom Dienst an der Universität Bonn suspendiert und dann entlassen. Bevor seine Schriften auf den Index kamen, wurde ein Reise-, Rede- und Predigtverbot verhängt.
Seine Heimatstadt Basel berief ihn 1935 als Professor für Systematische Theologie. Hier verfeinerte Karl Barth, dessen Auslegung des «Römerbriefes» (1919) ihn weltberühmt gemacht hatte, seine Lehre von der völligen Andersheit Gottes und dessen Offenbarung in der Heiligen Schrift.
Wenn es irgendeine göttliche Schmauchspur auf der irdischen Welt gebe, so war dies nach Barth Mozarts Musik. Er bekannte, «dass ich, wenn ich je in den Himmel kommen sollte, mich zunächst nach Mozart und dann erst nach Augustin und Thomas, nach Luther, Calvin und Schleiermacher erkundigen würde». Und wenn er Papst wäre, so meinte der Protestant bei einem Interview, würde er als Erstes Mozart heiligsprechen.
Schwierige Dreiecksliebe
Die nüchtern, aber kenntnisreich verfasste Biografie der Zürcher Theologieprofessorin Christiane Tietz verknüpft das komplexe Werk Karl Barths mit seinem komplizierten Leben: als politischer Kopf bei der SP und der SPD, als theologischer Erneuerer des Glaubens und als mutiger Bürger zweier Staaten.Aber auch als zerrissener Liebender zwischen zwei Frauen: Fast vier Jahrzehnte lebte Karl Barth unter einem Dach mit seiner Ehefrau Nelly, mit der er fünf Kinder hatte, und seiner Mitarbeiterin und Geliebten Charlotte von Kirschbaum.
Aus der vom Ehepaar selbst als «Notgemeinschaft» bezeichneten Situation fand niemand einen Ausweg. Von dieser schwierigen Dreiecksbeziehung, die in einem gemeinsamen Grab ihre Ruhe fand, handelt der eben erschienene Roman «Zu dritt» von Klaas Huizing.
Karl Barth war ein Arbeitstier: Frühmorgens hielt er seine minutiös vorbereiteten Vorlesungen, spätnachts schrieb er seine Auslegungen der Bibel, die auch von Philosophen wie Hans-Georg Gadamer als hermeneutische Glanzleistungen gelobt wurden. Seine Unbestechlichkeit in wissenschaftlicher und politischer Hinsicht machte den unbequemen Denker zum Vorbild. Thomas Mann sah in ihm einen «unerschrockenen Mann».
Vergleichbar mit Max Frisch
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag es Karl Barth fern, den Deutschen eine Kollektivschuld aufzuerlegen. Vielmehr trat er an zahlreichen Tagungen und Kongressen auf, um den unterbrochenen Dialog wiederaufzunehmen – hierin vergleichbar mit Max Frisch, dessen klare, aber versöhnliche Worte im Nachbarland Gehör fanden.
Jeden Fanatismus ablehnend, kritisierte Karl Barth auch den aufkommenden Antikommunismus, was dem «roten Messias», wie ihn die Presse nannte, den Vorwurf einbrachte, für den Kommunismus zu sein. Aber der sich konsequent auf die Bibel berufende Theologe war, obwohl mitunter angriffig argumentierend, stets auf Ausgleich bedacht. Kurz nach Kriegsende sehnte sich Barth wieder nach Deutschland zurück. Die soziale Frage und Versöhnung im christlichen Sinne waren ihm mehr als Schlagworte.
Kurz vor seinem Tod am 10. Dezember 1968 gab Karl Barth in der Radiosendung «Musik für einen Gast», für die er sich ausschliesslich Mozart gewünscht hatte, eine Art Resümee seines Denkens: «Das letzte Wort, das ich zu sagen habe, ist nicht so ein Begriff wie ‹Gnade›, sondern ist ein Name: Jesus Christus.» In ihm habe sich Gott selbst offenbart, in ihm sei die Liebe und die Wahrheit. Um ihm – und damit Gott – näherzukommen, müssten wir die Heilige Schrift sorgfältig studieren. In der Kunst der textnahen und -getreuen Deutung war Karl Barth ein Meister.
Sein umfangreiches Werk von den beiden «Römerbriefen» bis zur mehrbändigen «Kirchlichen Dogmatik» legt Zeugnis ab von der Kraft des menschlichen Geistes. Ob sich darin ein Widerschein jenseitiger oder diesseitiger Energie erkennen lässt, ist eine Frage, welche die über Jahrtausende anhaltende Rede von Gott auch weiterhin nähren wird. Barth sei Dank.
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