Das neue Album von OySehnsucht nach den Wolken
Das bernisch-berlinerische Duo Oy wurde mit bunten Elektro-Basteleien zur Sensation der Indieszene. Das neue Album löst erst einmal Irritation aus. Ist es auch gut?

Es gab Zeiten, da war das bernisch-berlinerische Duo Oy so begehrt, dass von den Veranstaltern auch schon mal ein Helikopterflug angeboten wurde, damit am selben Abend zwei Auftritte an verschiedenen Grossfestivals absolviert werden konnten – das Angebot wurde schon damals aus ökologischen Bedenken abgelehnt.
Vor etwas mehr als zehn Jahren war das. Oy arrivierte in dieser Zeit mit seinem vor Charme triefenden Elektrobastel-Soul zum ganz grossen Ding der Schweizer Indieszene, immer ein bisschen verschrobener als der ganze Rest, immer irritierend, immer ziemlich umwerfend. Und während die Subkultur auf der Suche nach der nächsten musikalischen Dystopie war, präsentierte Oy ihr eine Utopie voller Buntheit und voller skurrilen Humors.
Oy, das ist das Soloprojekt der in Ghana geborenen Sängerin, Musikfricklerin und Geschichtenerzählerin Joy Frempong. In Dietlikon aufgewachsen, in Bern zur Sängerin ausgebildet, machte sie zunächst in der avantgardistischen Jazzszene auf sich aufmerksam, sang bei Koch/Schütz/Studer, machte Lärm bei der Experimental-Band Lauschangriff, und wurde Sängerin der Berner Dub-Pop-Gruppe Filewile. Sie tourte durch die ganze Welt, wurde als erste Schweizer Musikerin vom ethno-futuristischen Label Crammed Discs unter Vertrag genommen und gewann 2015 den kleinen Schweizer Musikpreis.
Seit Jahren an ihrer Seite: der Berner Schlagzeuger und Produzent Marcel Blatti, der einst mit dem Züri-West-Keyboarder Oli Kuster das wunderbare Trip-Pop-Projekt Pola ins Leben gerufen hat und seither immer wieder als Theater- und Filmmusiker auffällig wird.
Melodien zum Mitpfeifen
Nun heben die beiden nach über sechsjähriger Veröffentlichungspause ein neues Album aus der Taufe und eröffnen dieses mit einem Intro, in dem eine rhetorische Frage schlummert. «Have We Changed» heisst es –, und ja, es hat sich viel verändert im Energiehaushalt von Oy.
Auf Tanzbarkeit wurde dieses Mal ebenso verzichtet wie auf psychedelische Verzierungen. Die zehn Songs und fünf Intermezzi hüpfen einem in einer fast schon demonstrativen Leichtigkeit entgegen. Fröhlich-luftige Chöre hier, nette Synthesizer-Melodiechen da. Leichfüssige Beats überall. Joy Frempong singt Melodien, die man mitpfeifen kann, und irgendwann wird dann auch noch der Autotune-Effekt angeknipst.
Es ist nicht ganz einfach, den Zugang zu diesem Album zu finden. Es ist aufs erste Hinhören fast schon überrumpelnd zutraulich, will einen umarmen, abküssen und mit Farbe einpudern, wie ein Fest-Geschwader an einem indischen Frühlingsfest. Dazu kommt es einem mit Weisheiten, die klingen wie leicht abgefingerte Evergreens aus einem Poesiealbum: «Nutze die Vergangenheit für die Zukunft», «Das einzige Beständige ist die Veränderung», oder «Die Macht liegt im Inneren».
Doch das alles ist nur die oberste Schicht dieses hinterlistigen Werks. Kratzt man diese funkelnde Legierung ab, tun sich ungeahnte Tiefen auf. Mit jedem Lied wird dieses Album trauriger, hintersinniger, raffinierter. In «Life Cars Phones» wird hinterfragt, wie wir im Zeitalter der mobilen Kommunikationsmittel unser Leben wahrnehmen – wie Naturbetrachtungen aus einem Auto heraus. Dazu zirpt ein elektrischer Beat, und Joy Frempongs Stimme changiert von menschlicher Wärme zum distanziert Roboterhaften.
In der Jazzballade «Pool» werden zwischenmenschliche Verwerfungen in Lyrik gebettet, und «Hopeless Paradise» ist ein Lamento um die zunehmende Spaltung der Menschheit. Es sind diese Balladen, diese fast nur mit Piano verzierten Klagen und Stossseufzer, die dieses Album aus seinem Easy-Listening-Mood reissen. Als wollten uns Oy aufzeigen, dass die Menschheit bei pausenloser Wolkenlosigkeit halt eben doch jämmerlich eingehen würde.
Sonntag, 12. März: Bee-Flat in der Turnhalle Progr, 20.30 Uhr.
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