Schweizer Kampfjets an Schottlands Himmel
Bis Mitte Dezember trainieren Schweizer Piloten das Fliegen in der Dunkelheit. Die Bedingungen dafür sind im Norden der Britischen Inseln optimal, auch finanziell.

Es dämmert. Dabei ist es erst kurz nach 16 Uhr in Lossiemouth. Die Dunkelheit kommt früh, hier in Nordschottland, gut 700 Kilometer nördlich von London. Die Möwen ziehen kreischend ihre Kreise über dem Strand und um den Leuchtturm, der die kleine Küstenstadt überragt. In den Dünen grasen die Schafe.
Das Dröhnen eines Kampfjets zerreisst jäh die Idylle. Diese Art Lärm gehört genauso zu Lossiemouth wie das schrille Kreischen der Möwen oder das Blöken der Schafe. Hier, auf dem 1938 erbauten Flugplatz, steht die Hauptbasis der Royal Air Force für den Kampfflieger Eurofighter Typhoon.
Auf dem Platz vor dem imposanten Hangar steht allerdings kein britischer Offizier, sondern ein Schweizer in Pilotenuniform: Oberstleutnant Aldo Wicki. Hinter ihm aufgereiht zehn Schweizer F/A-18-Kampfjets, die fürs Nachtflugtraining nach Schottland geflogen wurden.

Wicki führt das Trainings-Detachement nach 2017 zum zweiten Mal. «Die Bedingungen hier und die Zusammenarbeit mit unseren Gastgebern sind hervorragend», rühmt er. Lossiemouth sei ein Glücksfall. Dabei ist man im letzten Jahr eher zufällig im Norden der Britischen Insel gelandet. Zuvor fand das Nachtflugtraining der Schweizer Luftwaffe während 18 Jahren in Norwegen statt. Doch Veränderungen im Stationierungskonzept der Nato in Skandinavien zwangen die Schweizer Verantwortlichen dazu, einen alternativen Standort zu suchen.
In Lossiemouth wurden sie dank der Vermittlung aus London fündig. Und so fliegen nun zum zweiten Mal 40 Piloten und 100 Angehörige des Bodenpersonals aus Meiringen und Payerne in zwei Ablösungen nach Schottland. Ausserdem wurden 18 Container mit Werkzeug und hochsensiblem Material auf dem Landweg in den Norden Grossbritanniens transportiert.
Man fragt sich, weshalb die Schweizer Luftwaffe diesen riesigen logistischen Aufwand betreibt. «In der Schweiz sind die Nachtflugtrainings stark eingeschränkt», erklärt Bernhard Müller, Kommandant der Luftwaffe. Konkret dürfen die Kampfjets im Winterhalbjahr jeweils an lediglich einem Tag pro Woche bis 22 Uhr über den Berner und Walliser Alpen fliegen. «Damit können wir den angestrebten Leistungsstand nicht erreichen.»
«Hier können wir Überschallflüge oder Flüge auf geringer Höhe trainieren.»
Anderswo sind die Trainingsbedingungen ungleich besser als in der dicht überbauten Schweiz. In nur vier Wochen Nachtflugtraining über der Nordsee in Schottland, wo der Lärm höchstens die Vögel stört, absolviert die Luftwaffe etwa gleich viele Nachtflugstunden wie während des ganzen Winterhalbjahrs in der Schweiz. Lässt es das Wetter zu, wird an fünf Tagen pro Woche geflogen.
«Hier können wir auch Dinge trainieren, die bei uns in der Schweiz schlicht nicht möglich sind», erklärt Luftwaffenkommandant Müller. «Überschallflüge zum Beispiel oder Flüge auf tiefen Flughöhen.» All diese Fähigkeiten müssten die Piloten jedoch beherrschen, um den nächtlichen Luftpolizeidienst in der Schweiz sicherstellen zu können.
Die rechtliche Grundlage für das Training bildet ein Abkommen zwischen Grossbritannien und der Schweiz. Interessantes Detail dabei: Die Briten verlangen für die Nutzung der Infrastruktur keine Miete. Die Schweizer Luftwaffe bezahlt in Lossiemouth lediglich Unterkunft, Verpflegung und den Treibstoff. 1,3 Millionen Liter Kerosin verbraucht die Luftwaffe während der vier Wochen. Weil der Treibstoff in Grossbritannien steuerbefreit und deshalb nur etwa halb so teuer ist wie in der Schweiz, ist das gesamte Auslandtraining unter dem Strich für die Schweizer Luftwaffe kostenneutral.

19 Uhr. Mittlerweile ist es stockdunkel geworden in Lossiemouth. Über dem Rollfeld liegt der süssliche Geruch von Flugpetrol. Die zweite der drei heutigen Ablösungen ist zurück auf der Basis. Oberstleutnant Aldo Wicki ist zufrieden mit seinen Leuten. «Alles ist nach Plan verlaufen.» Wenn abseits der Landebahn auch alles nach Plan verläuft, wird die Schweizer Luftwaffe auch im kommenden Jahr Nachtflugtrainings im Ausland absolvieren können.
Lossiemouth wird dann allerdings wegen geplanter Bauarbeiten kaum mehr zur Verfügung stehen. «Wir sehen uns nach Alternativen um», bestätigt Luftwaffen-Kommandant Bernhard Müller. Mit Grossbritannien werden Gespräche über einen Ausweichflugplatz geführt. Die Chancen stehen gut, dass man sich finden wird. Und sonst könnte ein anderes Partnerland in die Bresche springen.
«Ein Pfand in unserer Hand»
Schliesslich steht die Schweiz vor der Beschaffung neuer Kampfjets und eines neuen Fliegerabwehrsystems. Auftragsvolumen: rund 8 Milliarden Franken. Der lukrative Auftrag öffnet viele Türen, die sonst verschlossen bleiben. Für gewöhnlich bestehen enge Verbindungen zwischen Rüstungsindustrie und Streitkräften. Im Fokus der geplanten Beschaffung stehen die beiden US-Kampfjets F/A-18 E/F und F-35, der britisch-deutsche Eurofighter Typhoon, die französische Rafale und der schwedische Gripen.
«Die Beschaffung ist ein Pfand in unserer Hand», sagt Luftwaffenchef Müller: «Es zählt beim Kauf nicht nur der Preis. Wir werden uns für das Angebot mit dem besten Kosten-Nutzen-Verhältnis entscheiden.»
Kurz nach 22 Uhr macht das technische Personal die Schweizer Kampfjets für die Nacht bereit. Es hat abgekühlt. In der niedrigen Baracke neben dem Hangar brennt noch Licht. Die Schweizer Piloten der letzten Ablösung sitzen beim Debriefing und besprechen ihre Trainingsflüge. Es wird still über Lossiemouth. Keine Möwe mehr, die kreischt. Nur das Rauschen des Meers hört man bis ans Rollfeld.
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