Wie Roger de Weck die Frauen wegsparte
Im Konzept der umstrittenen SRG-Doku «Die Schweizer» waren ursprünglich auch Frauenfiguren vorgesehen. Dann fielen sie einem Sparentscheid zum Opfer – mit einer merkwürdigen Begründung.
Im Ursprungskonzept für die heftig in der Kritik stehende SRG-Geschichtsreihe «Die Schweizer» waren Frauen als tragende Figuren der Schweizer Geschichte eingeplant. Das zeigen Recherchen der Zeitung «Schweiz am Sonntag».
Inspiriert von der ZDF-Reihe «Die Deutschen» gab die damalige SF-Direktorin Ingrid Deltenre 2008 dem damaligen SF-Chefredaktor Ueli Haldimann den Auftrag, eine TV-Serie über Schweizer Geschichte zu konzipieren. Haldimann plante zehn Folgen: 1000 Jahre Schweizer Geschichte bis ins Jahr 1900. Gesendet werden sollte die Reihe übers Jahr verteilt jeweils am Sonntagabend. Vorgesehen waren auch Folgen mit Frauen als Hauptfiguren.
Auf einer internen Liste mit den Protagonisten für die TV-Serie figurierten Namen wie jener von Künstlerin Sophie Taeuber-Arp oder Malerin Angelika Kauffmann, die 1768 zu den Gründungsmitgliedern der bis heute bedeutendsten britischen Kunstinstitution Royal Academy gehörte, wie die «Schweiz am Sonntag» schreibt. Als Ende 2009 zuerst Deltenre und ein Jahr später auch der inzwischen zum Übergangsdirektor beförderte Haldimann SRF verliessen, lag das Projekt vorerst auf Eis.
Schlaglicht auf die SRG-Geschäftsleitung
Roger de Weck nahm das Projekt 2011 als frischgewählter SRG-Generaldirektor wieder auf – und strich die Frauen aus der 5,2 Millionen Franken teuren Doku-Fiction-Produktion. «Die Reduktion von zehn auf vier Folgen erfolgte aus Kostengründen, den Entscheid fällte die Geschäftsleitung unter Roger de Weck», bestätigt SRG-Sprecher Iso Rechsteiner.
Diesem pikanten Sparentscheid fiel auch Frauenrechtlerin Meta von Salis zum Opfer, was die Verteidigungsstrategie von SRG-Projektleiter Mariano Tschuor untergräbt, der vergangen Woche in Interviews sagte, das neue Konzept fokussiere auf «Wendepunkte der Schweizer Geschichte im 14., 15. und 19. Jahrhundert» und in dieser Phase habe «keine Frau belegbaren Einfluss auf die Schweizer Geschichte gehabt». Meta von Salis lebte im 19. Jahrhundert. Die umstrittene, inzwischen heftig diskutierte Streichung der Frauen aus der Schweizer Geschichte werfe ein Schlaglicht auf die SRG-Geschäftsleitung um Generaldirektor Roger de Weck, schreibt die «Schweiz am Sonntag».
«Es ist für mich unverständlich, dass die SRG keine Frauen berücksichtigt hat»
«Dass eine öffentlich-rechtliche, gebührenfinanzierte Institution wie die SRG im Jahr 2013 nur von Männern geführt wird, ist der eigentliche Skandal», sagt SP-Ständerätin Anita Fetz, die in einem Gastkommentar in der «Schweiz am Sonntag» die TV-Serie als «verstaubtes Quoten-Kostümfest der SRG» bezeichnet. «Das Männergremium schreibt im 21. Jahrhundert fort, was als Begründung für die fehlenden Frauen in früheren Jahrhunderten herhalten muss: dass Frauen nichts zu sagen hatten. Das ist bei der SRG offensichtlich bis heute so», sagt Fetz.
Das SRG-Projekt gerät aber auch von anderer Seite in die Kritik: Bei SRF sprechen Mitarbeiter im mittleren Kader von einem «Frauenmassaker ohne Not»: Selbst in der auf vier Folgen gekürzten Version der Serie hätte die Folge über den Schweizer Schutzpatron Niklaus von Flüe an dessen Frau Dorothe aufgehängt werden können, die als verlassene Ehefrau mit zehn Kindern prototypisch für ein Frauenschicksal im 15. Jahrhundert hätte stehen können.
«Für die SRG scheint die Ausgewogenheit in Bezug auf die Landesregionen wichtiger zu sein als diejenige in Bezug auf das Geschlecht», kritisiert Peter Gautschi, Professor an der Pädagogischen Hochschule Luzern und Geschichtsexperte in der Arbeitsgruppe für den Lehrplan 21 in der «Schweiz am Sonntag». «Es ist für mich unverständlich, dass die SRG keine Frauen berücksichtigt hat.» Die mangelnde Berücksichtigung historischer Frauenfiguren im mehrteiligen Geschichts-Epos stört auch Susanna Burghartz, Geschichtsprofessorin an der Universität Basel: «Die Identifikationsfiguren für Zuschauerinnen fehlen.» Weil Männer in der Geschichte oft greifbarer seien als Frauen, gäben sie auf den ersten Blick auch die einfacheren Geschichten her.
Mehr Platz für Frauen im Geschichtsunterricht
«Die SRG macht es sich damit aber zu einfach. Man hätte wenigstens versuchen sollen, dieses Muster zu durchbrechen», kritisiert Burghartz, die von einer «verpassten Chance» spricht. Dass sich die SRG damit begnüge, Geschichte nach dem altbekannten Muster zu vermitteln – über Heldengeschichten und elitezentrierte Darstellungen von Entscheidungsträgern – stösst bei der Historikerin jedoch auch grundsätzlich auf Kritik: «So sieht keine Geschichtsvermittlung aus, die viele Menschen anspricht und integriert. Dabei ist genau die Integration eine wichtige Funktion von Geschichte.» Mutiger wäre es gewesen, so Burghartz, etwa den Beitrag der Frauen zur Reformation, zur Industrialisierung oder zur Entwicklung der modernen Demokratie aufzugreifen.
Wie die «Schweiz am Sonntag» weiter berichtet, legt der Lehrplan 21 dagegen neue Schwerpunkte im Geschichtsunterricht. Für Zündstoff sorgt dabei die Auswahl historischer Daten, welche die Schweizer Geschichte prägten und die Schüler laut Lehrplan «kennen und erklären» müssen.
Neu sollen auch Frauen mehr Platz im Geschichtsunterricht erhalten. Bedeutende Frauenfiguren wie «Flüchtlingsmutter» Gertrud Kurz und Politikerin Emilie Lieberherr werden im Lehrplan namentlich als Pflichtstoff erwähnt. «Das ist ein bedeutender Schritt», sagt Peter Gautschi, Experte in der Arbeitsgruppe des Lehrplans 21 gegenüber der «Schweiz am Sonntag». Zwar wird das Gender-Thema schon heute in einigen kantonalen Lehrplänen und Lehrmitteln berücksichtigt, doch mit der Namensliste erhalten die Lehrer nun erstmals klare Handlungsanleitungen für ihren Unterricht.
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