Was 2018 anders ist als im Rekordjahr 1999
Die aktuelle Lage erinnert an den Katastrophenwinter 1999: Was Experten dazu sagen.
Ein ausserordentlicher Winter setzt ein weiteres Ausrufezeichen. Nach anhaltenden, starken Niederschlägen dürfen auf dem Rhein in Basel keine Schiffe mehr fahren. Und die Schneehöhe kletterte gestern an ersten Messstationen über die magische 5-Meter-Marke, etwa auf der Gandegg im Walliser Skigebiet Lauchernalp.
Ein Vergleich mit dem Lawinenwinter von 1999 drängt sich auf. 1200 Schadenlawinen gingen damals nieder. 17 Menschen fanden den Tod. Der Sachschaden belief sich auf 600 Millionen Franken.
Davon ist man 2018 noch weit entfernt. Auch bei den Schneemengen reiche der aktuelle Winter bisher nicht an 1999 heran, sagt Christoph Marty, Klimatologe beim WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF). Auf der Gandegg beispielsweise sei 1999 ein halber Meter mehr gefallen.
Bilder: In Davos türmen sich die Schneemassen
Dieser Höchstwert wurde aber erst Ende Februar gemessen. Was nicht ist, kann also noch werden. Denn die Wahrscheinlichkeit von weiteren Niederschlägen ist mit dem bisherigen Wetterverlauf relativ hoch. Während in den beiden Vorjahren Hochdruckgebiete Westwindlagen blockierten, haben Fronten heuer wieder einmal freie Fahrt in Richtung Alpen.
Der diesjährige Wettercocktail gemahnt an 1999: Dreimal stauten sich damals die Wolken tagelang an den Bergen (26. bis 29. Januar, 5. bis 10. und 17. bis 24. Februar 1999). Verbreitet fiel Regen und vor allem viel Schnee. Die Niederschläge führten zu sehr hoher Lawinengefahr entlang des gesamten Alpennordhangs.

Aber es gibt auch Unterschiede: Im Gegensatz zum letzten Lawinenwinter befindet sich die Schneegrenze höher. Engelberg OW auf 1000 Metern über Meer hat aktuell spärliche 13 Zentimeter Schnee. 1999 waren es zehnmal mehr. Die Situation ist nicht in allen Gebieten am Alpennordhang akut, dafür ist der Süden dieses Mal stärker betroffen. In Zermatt liegt sogar mehr Schnee als vor 19 Jahren.
Eine zweite Naturkatastrophe
Die Bilder von sich türmenden Schneemassen sind eindrücklich. 1999 waren sie mitverantwortlich für eine zweite Naturkatastrophe innert weniger Monate. In zwei Wellen schwollen im späten Frühjahr Bäche und Seen an. Über Auffahrt und an Pfingsten traten sie über die Ufer. Die Schadensumme aus dem Lawinenwinter verdoppelte sich.
Was heute als Schnee in den Bergen liegt, könnte also zum Hochwasser von morgen werden. «Das müssen wir im Auge behalten», sagt Bernhard Schudel vom bernischen Amt für Wasser und Abfall. Schon gestern führten Bäche viel Wasser – auch die Aare, für deren Regulierung Schudels Team zuständig ist. Weil dieses nach den Niederschlägen von Anfang Jahr vorsorglich die Pegel der als Rückhaltebecken vorgesehenen Seen auf das übliche Winterniveau gesenkt hatte, liess sich das in den Rhein abfliessende Wasser reduzieren.
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Die erste Hochwasserwelle dürfte also glimpflich enden: Da die Niederschläge nun abklingen, ist abgesehen von der wohl bis zum Donnerstag eingestellten Schifffahrt in Basel nicht mit grösseren Schäden zu rechnen.
Ob sich die Situation im Frühling wieder zuspitzt, darüber möchten weder Schudel noch Hydrologin Michèle Oberhänsli vom Bundesamt für Umwelt spekulieren. Die Schneeschmelze allein reiche selbst bei viel Schnee nicht für ein gefährliches Hochwasser. Dazu müsse wie 1999 zu einem Wärmeeinbruch gleichzeitig viel Niederschlag hinzukommen.
«Zudem», betont Schudel, «sind wir heute besser vorbereitet.» 1999 habe man machtlos zuschauen müssen, wie bei maximal geöffneten Schleusen in Thun der Thunersee dennoch über die Ufer getreten sei. Heute verfüge man zusätzlich über einen Entlastungsstollen.
Lehren gezogen
Dass es dieses 2009 eingeweihte Bauwerk gibt, kann als eine Lehre aus diesem Hochwasser betrachtet werden. Solche Lehren wurden auch aus den vorangegangenen Lawinen gezogen. In einem Bericht hebt das SLF vor allem das verbesserte Frühwarn- und Kriseninterventionssystem hervor.
Aus Schaden klug zu werden, ist aber bei komplexen Systemen nicht so einfach. Selbst die sorgfältigsten Analysen von Naturkatastrophen können die Zukunft nicht vorwegnehmen. Letztlich bleibt unvorhersehbar, wie das Wetter wirklich wird. Langfristige Muster oder eine Periodizität liessen sich jedenfalls kaum erkennen, darin sind sich die Experten einig. Sie warnen darum davor, aus früheren auf aktuelle Ereignisse zu schliessen. Zu viele Faktoren beeinflussten deren Verlauf.
SLF-Klimatologe Christoph Marty fasst die angespannte Lage in einem Satz zusammen: «Die grosse Frage ist nun, wie viel Schnee in diesem Winter noch hinzukommt.»
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