Wie die OECD die Schweiz hinters Licht führte
Ein Polit-Powerplay mit groben Fouls: OECD-Generalsekretär Angel Gurría zog im Steuerstreit mit der Schweiz die Fäden – so geschickt, dass er die Lockerung des Bankgeheimnisses erzwang.
Einen Tag, nachdem der Bundesrat beschlossen hat, das Bankgeheimnis zu lockern, eilte Finanzminister Hans-Rudolf Merz nach London. Dort traf er den englischen Premierminister Gordon Brown. «Er sei auf sehr grosses Verständnis gestossen», sagte Merz dann am Abend des 14. März in der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens.
Tatsächlich? Zwar ist der deutsche Peer Steinbrück jener Finanzminister, der am lautesten gegen die Schweiz schimpft. Doch hinter den Kulissen sind die Briten aktiver und effizienter. So war es Jon Cuncliffe, zweiter Sekretär im britischen Schatzamt, der Angel Gurría, Generalsekretär der OECD, um eine «auf Fakten gestützte Analyse der Situation» in Steuerfragen bat. Dies geht aus dem Brief hervor, den Gurría am 5. März dem britischen Schatzkanzler Alistair Darling schickte. Dem Schreiben war eine Liste mit 46 Finanzzentren und ein Massnahmenkatalog zur Trockenlegung von Steueroasen beigelegt.
OECD-Generalsekretär spielte eine Hauptrolle
Die zentrale Rolle beim Powerplay gegen die Schweiz spielte jedoch OECD-Generalsekretär Angel Gurría; das zeigen Recherchen von Redaktion Tamedia. Seit 1996 arbeitet die OECD an neuen Standards in Steuerfragen. 2002 wurden neue Regeln und Vereinbarungen beschlossen, die von den G-20-Staaten und der Uno gutgeheissen wurden, jedoch nicht in allen Staaten durchgesetzt werden konnten. Die Schweiz und auch Österreich haben keine dieser Regeln in ihre Rechtssprechung übernommen.
Als der Druck stieg, habe der Generalsekretär Angel Gurría die Chance gewittert, die OECD-Standards durchzusetzen, vermuten heute Schweizer Beobachter. Bereits im Oktober 2008 tauchten Informationen auf, wonach die OECD bis im Sommer 2009 eine neue schwarze Liste erstellen wolle. Auf der bisherigen Liste figurierten nur Monaco, Andorra und Liechtenstein. Nach dem G-20-Gipfel vom November 2008 schritt Gurría dann offenbar zur Tat - und dies hinter dem Rücken der Schweiz. Obwohl die Eidgenossen als Mitgliedsland den über 300 Millionen Euro teuren OECD-Apparat mitfinanzieren. Die Schweiz bezahlt 1,5 Prozent des gesamten Budgets.
Die Schweiz bei den G-20-Staaten angeschwärzt
Im Januar 2009 sandte Gurría offenbar der G-20 ein offizielles Dokument unter dem Titel: «Promoting Integrity in Financial Markets: OECD Contribution to G-20 Initiative». In diesem Papier wird die Schweiz als Finanzzentrum bezeichnet, welches «weiterhin das exzessive Bankgeheimnis in Steuerfragen anbietet». Die Schweiz bekam Wind von der Geschichte und stellte Gurría am WEF in Davos zur Rede, wie Insider aus der Bundesverwaltung erklären. Dieser wand sich dabei heraus, er kenne das besagte Dokument nicht.
Gurrías Sprecher Nicholas Bray wollte dies gegenüber Redaktion Tamedia nicht kommentieren.
Anfang März machten dann in den Medien weitere Gerüchte die Runde, es existiere eine schwarzen Liste der OECD. Und die Schweiz sei auf dieser Liste. Doch OECD-Generalsekretär Gurría dementierte gegenüber der Schweiz weiterhin die Existenz einer solchen Liste – noch Ende der letzten Woche, als die Schweiz im Ministerrat intervenierte, erklärte Gurría, eine Liste gebe es nicht.
Gurría stauchte Mitglieder der Schweizer Delegation zusammen
Doch die Gerüchte verfehlten ihre Wirkung nicht: Singapur, Hongkong, Liechtenstein und die Schweiz beugten sich dem grossen internationalen Druck. Erst jetzt erfuhr die Schweiz offiziell, dass Gurría den G-20 tatsächlich eine Liste mit 46 globalen Finanzzentren geschickt hat, in der auch die Schweiz aufgelistet ist. Gurría rechtfertigt sich heute, er habe den G-20 nur eine Liste mit «objektiven Informationen» zukommen lassen.
Auch zum Vorgehen wollte OECD-Mann Nicholas Bray keine Stellung nehmen: Die OECD hatte die Liste erstellt und der britischen Regierung übergeben, ohne dass die betroffenen Mitgliedsstaaten informiert oder gar befragt worden wären. Proteste der Schweiz, die OECD habe gegen Verfahrensregeln verstossen - alle Mitglieder müssen jeweils konsultiert werden -, fruchteten bisher nichts. Bei einem Treffen mit einer Schweizer Delegation soll der OECD-Generalsekretär einzelne Teilnehmer sogar zusammengestaucht haben – weil diese von Gurría eine Entschuldigung erwarteten.
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