Der Arbeitszeit-Kompromiss bröckelt bereits
Die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit ist für Firmen wie Google ein Überbleibsel aus alten Zeiten. Vor einem Jahr wurde sie darum gelockert. Nun steht der unter den Sozialpartnern ausgehandelte Kompromiss schon wieder zur Disposition.

Google gefällt es in der Schweiz. Mitte Januar stellte das Technologieunternehmen die neuen Arbeitsplätze in der ehemaligen Zürcher Sihlpost vor. Bis 2021 will es in Zürich 5000 Mitarbeitende beschäftigen.
Die Kritik der amerikanischen Firma zu gewissen Nachteilen des Schweizer Arbeitsmarkts scheint vernachlässigbar zu sein: Ende 2015 beschwerte sich ein Google-Manager in der «NZZ am Sonntag» zum Beispiel über strenge Regelungen bei der Arbeitszeiterfassung.
Für Google-Entwickler ist eine geregelte Arbeitszeit tatsächlich etwa das, was für moderne Menschen die Steinzeit. Deren Arbeitsalltag lässt sich schlecht mit einer Stempeluhr aus dem Industriezeitalter erfassen.
Geistesblitze ereilen kreative Köpfe auch mal am Wochenende, und Druckphasen am Ende von Projekten sind normal. Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Mitarbeitende mit ähnlichen Arbeitsstellen der gesetzlichen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bisher kaum nachkamen. Auch die kantonalen Arbeitsinspektorate stellten diesen largen Umgang mit der gesetzlichen Pflicht fest.
Vor einem Jahr lockerte der Bundesrat zwar die Regelungen zur Stempeluhr. Seither können bestimmte Mitarbeitende, sofern sie einverstanden sind, auf die Erfassung der Arbeitszeit legal verzichten. Die Swisscom, die sich aktiv für mehr Spielraum einsetzte, macht auf Anfrage gute Erfahrungen mit der flexibleren Regelung.
Flexibilität erhöhen für Kader und Spezialisten
Doch gewissen Parlamentariern geht sie zu wenig weit. Im Hintergrund arbeiten sie auf Anregung von Branchenverbänden aus den Sektoren Wirtschaftsprüfung, Treuhand, Informatik, Beratung und Public Relations an einer weiteren Lockerung.
Am Dienstag behandelt die nationalrätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) Vorstösse von Ständerat Konrad Graber (CVP, LU), Ständerätin Karin Keller-Sutter (FDP, SG) und Nationalrat Marcel Dobler (FDP, SG), Gründungsmitglied von Digitec. Heute müssen Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit nicht mehr erfassen, vereinfacht gesagt entweder in einen Gesamtarbeitsvertrag eingebunden sein oder sich persönlich mit dem Verzicht einverstanden erklären.
Nun soll noch mehr «Flexibilität» bei der wöchentlichen Höchstarbeitszeit und mehr Raum für «selbstbestimmte Arbeitszeiten» geschaffen werden. Gemäss Schätzungen würden als Folge davon etwa eine halbe Million Arbeitnehmende, also etwas mehr als 10 Prozent aller Beschäftigten – darunter vor allem leitende Mitarbeitende und Fachspezialisten –, ihre Arbeitszeit nicht mehr erfassen müssen.
Bei der Gewerkschaft Unia, die unter dem Dach des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds den am Dienstag geltenden Kompromiss mitträgt, gleichen diese Bestrebungen einem roten Tuch.
Unia warnt vor zusätzlichem Stress, Burn-out und teuren Folgekosten. Ebenso wenig kann der Schweizerische Bankpersonalverband (SBPV) verstehen, warum der Kompromiss schon nach einem Jahr wieder infrage gestellt wird. Der SBPV vertritt rund 70 000 Bankangestellte in der Schweiz.
Befremdet reagiert Geschäftsführerin Denise Chervet auch, weil sie keinen Anlass zu weiteren Schritten sieht: «Für die Banken sei das Problem gelöst, hören wir.» Die getroffenen Vorkehrungen würden sich von Bank zu Bank unterscheiden. Chervet unterstellt den neuen Vorstössen ideologische Beweggründe. Anders kann sie sich nicht erklären, dass bereits daran gerüttelt wird, bevor eine Bilanz zur heutigen Regelung vorliegt.
Mehraufwand für Firmen
Die Übersicht müsste am ehesten Peter Meier, Präsident des interkantonalen Verbands für Arbeitnehmerschutz, haben. Doch dafür ist es noch zu früh.
Liefern kann er erste Erfahrungen aus Sicht der kantonalen Arbeitsinspektoren, er leitet das Zürcher Inspektorat: Meier geht davon aus, dass dank dem seit 2016 geltenden Kompromiss mehr Unternehmen ihren Pflichten bei der Arbeitszeiterfassung nachkommen. Sie bemühten sich um konstruktive Lösungen. Dies bedeute aber mehr Aufwand. Bis jetzt habe man deshalb vor allem Unternehmen beraten. «Demnächst» werde aber wieder überprüft, ob die neuen Vorgaben auch eingehalten würden.
Die Front gegen weitere Vereinfachungen bei den Arbeitnehmerverbänden scheint auf den ersten Blick geschlossen. Zumindest bei dreien ist aber eine gewisse Gesprächsbereitschaft erkennbar.
Die Plattform Bildung Wirtschaft Arbeit, ein loser Zusammenschluss des Kaufmännischen Verbands, der Schweizer Kader-Organisation und Angestellten Schweiz, lehnt die Vorstösse zwar ab. In einem Schreiben an die WAK, das dieser Zeitung vorliegt, halten sie aber fest, dass sie konstruktiv an einer «annehmbaren Lösung» zur Anpassung des Arbeitsgesetzes mitarbeiten wollen.
Kathrin Gasser, Mediensprecherin des Kaufmännischen Verbands, ergänzt auf Anfrage, es brauche «mehr Sicherheiten» für den Gesundheitsschutz. Die vagen Formulierungen in den Vorstössen gewährleisteten diese nicht.
Google gibt sich zugeknöpft
Dieselben Punkte hebt der Zürcher Arbeitsinspektor Peter Meier hervor, der sich ansonsten nicht in die Politik einmischen will: Bei einer weiteren Lockerung brauche es klare Zugeständnisse zur Kompensation der eventuell mehr geleisteten Arbeitszeit – ob diese nun mit einem Zuschlag ausgezahlt werde oder als Freizeit bezogen werden könne.
Wie gross das Problem mit der Arbeitszeiterfassung für Google Schweiz tatsächlich noch ist, wollte die Firma auf Anfrage nicht ausdeutschen. Die eingereichten Fragen beantwortete das Unternehmen mit einem einzigen dürren Satz: «Google Schweiz setzt am Standort Zürich alle arbeitsrechtlichen Vorgaben des Gesetzgebers um.»
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