«Das ist ein sehr deutsches Staatsverständnis»
Unzureichende Gewaltentrennung, intransparente Parteienfinanzierung und geringe Wahlbeteiligung: Die Schweiz ist gemäss einer Studie keine Musterdemokratie. Andreas Gross und weitere Politiker sind befremdet.
Teilen Sie den Befund, wonach die Schweizer Demokratie nur Mittelmass ist? Nur sehr beschränkt. Die Studie stützt sich auf lediglich 94 Faktoren, um die Qualität einer Demokratie zu messen. Sie blendet entscheidende Punkte aus, so die Frage: Sind die mit einer Demokratie untrennbar verknüpften Versprechen wie Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit tatsächlich eingelöst?
Inwiefern wird dieser Aspekt zu wenig gewichtet? Der Studie liegt eine Definition von Demokratie zugrunde, die die Rechtsstaatlichkeit betont. Das ist ein sehr deutsches Staatsverständnis, während das schweizerische mehr republikanisch-freiheitlich ist. Dadurch fällt stark negativ ins Gewicht, dass die Schweiz weder ein Verfassungsgericht noch ein Misstrauensvotum gegenüber der Regierung kennt. Das sind Mittel, um den Bürger vor dem Staat zu schützen. Das Schweizer Demokratieverständnis geht hingegen davon aus, dass der Bürger nicht ein Konsument, sondern ein handelnder Akteur ist. Er identifiziert sich viel stärker mit dem Staat, den er ja jederzeit aktiv mitgestalten kann. Wenn hier jemand geschützt werden muss, dann ist es eher der Bürger vor dem Bürger.