
schweiz
Eklat, Emotionen – EU-Deal ade?
«Frechheit» und «Verrat» sind starke Worte für Bundesbern. So geschehen gestern. Ein Scherbenhaufen für Bundesrat Johann Schneider-Ammann.
Vertrauliche Papiere aus dem Bundeshaus zeigen, welche sieben Punkte der flankierenden Massnahmen zur Disposition stehen.
Provozierte mit dem Gewerkschaftsbund den grossen Eklat beim Deal mit der EU: Paul Rechsteiner. Bild: Keystone
Am Tag nachdem die Gewerkschaften den grossen Eklat provoziert haben, geht im Ostflügel des Bundeshauses fast alles seinen gewohnten Gang. Wie geplant, kommt es am Donnerstagnachmittag zu technischen Gesprächen über mögliche Änderungen der flankierenden Massnahmen (Flam). Inhalt: höchst technisch und trotzdem politisch explosiv. Gastgeber: hochrangige Beamte des Departements von Bundesrat Johann Schneider-Ammann (FDP). Teilnehmer: Gewerbeverband und Arbeitgeberverband. Prominente Abwesende: die Gewerkschaften, die tags zuvor den Boykott ausgerufen haben – mit dem Vorwurf, Schneider-Ammann wolle der EU die Flam auf dem Altar des Liberalismus opfern.
Ohne die Gewerkschaften, sagt der Direktor des Arbeitgeberverbands, Roland Müller, seien solche Gespräche natürlich «äusserst schwierig». Trotzdem sei sein Verband «interessiert zu erfahren, was die EU genau will».
Dass sich die Gespräche um eine Anpassung der 8-Tage-Regel drehen, ist bereits bekannt. Doch jetzt zeigen Recherchen von Bernerzeitung.ch/Newsnetz, welche weiteren Elemente der flankierenden Massnahmen zur Debatte stehen. In vertraulichen Papieren, die das Wirtschaftsdepartement den Teilnehmern vorab zugestellt hat, werden laut zuverlässigen Quellen sieben Punkte genannt, bei denen es Differenzen mit der EU gibt:
Gegen all diese Elemente gibt es teilweise seit Jahren Kritik der EU, doch bisher hatte sie dagegen keine Handhabe. In den Verhandlungen um ein institutionelles Rahmenabkommen verlangt sie nun aber Anpassungen – wie ultimativ sie das in den einzelnen Punkten tut, ist unklar. Die Aufgabe, die Schneider-Ammann seinen Beamten, den Sozialpartnern und Kantonsvertretern aufgetragen hat, ist jedenfalls klar: Findet eine Lösung, welche den Lohnschutz ebenso gut gewährleistet, aber gleichzeitig EU-kompatibel ist! Insgesamt soll es weder einen Abbau noch einen Ausbau des heutigen Lohnschutzes geben. Das halten die Gewerkschaften jedoch für eine leere Worthülse, weshalb sie sich gar nicht erst an der Lösungssuche beteiligen.
Eigentlich sollte eine Lösung bis spätestens Anfang September auf dem Tisch liegen. Denn noch im September muss der Gesamtbundesrat entscheiden, ob und wie er mit der EU überhaupt weiterverhandeln kann und will. In der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats kommt das Europathema bereits am 16. August aufs Tapet. Dort wird auch eine Stellungnahme von Aussenminister Ignazio Cassis erwartet. Was einst als Routineaussprache traktandiert wurde, bekommt nun den Charakter einer Krisensitzung mit den Aussenpolitikern aller grossen Parteien.
Tages-Anzeiger
Erhalten Sie unlimitierten Zugriff auf alle Inhalte:
Abonnieren Sie jetzt