AKW-Sicherheit im KriegsgebietSchweiz soll helfen, russischen Atomfunktionär zu suspendieren
Die Internationale Atomenergiebehörde hilft der Ukraine bei der Sicherung ihrer Nuklearanlagen. Nun stellen Atomgegner ihre Glaubwürdigkeit infrage – wegen des russischen Vizedirektors. Der Fall zieht Kreise bis zu Bundesrätin Sommaruga.

Simonetta Sommaruga hat Post erhalten – von Greenpeace. Die Bundesrätin solle «unverzüglich handeln», heisst es im Schreiben der Umweltorganisation, das dieser Redaktion vorliegt. Mitten im Ukraine-Krieg sieht sich Sommaruga mit einer aussenpolitisch pikanten Frage konfrontiert: Soll sich die Schweiz dafür starkmachen, dass der Russe Michail Chudakow als stellvertretender Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) suspendiert wird?
Chudakow arbeitet seit 2015 für die IAEA, die ihren Sitz in Wien hat und als wichtigste internationale Organisation für die Zusammenarbeit zur friedlichen Nutzung der Kernenergie gilt. 173 Staaten sind ihr angeschlossen, darunter die Schweiz. Aktuell versucht die IAEA, der Ukraine bei der Sicherung ihrer Nuklearanlagen im Kriegsgebiet zu helfen. Die Lage sei beispiellos, sagte Generaldirektor Rafael Grossi unlängst. Es sei das erste Mal, dass ein «militärischer Konflikt» inmitten eines Gebietes mit grossen Atomanlagen ausgetragen werde.
Als problematisch taxiert Greenpeace Chudakows aktuelle Position in Verbindung mit seiner Vergangenheit: Von 1995 bis 2007 war er bei Rosenergoatom in leitender Position, einer Tochterfirma von Rosatom, der staatlichen Atomenergiegesellschaft Russlands.

Rosatom spielt nun auch im Ukraine-Krieg eine Rolle. Sie stellt Beamte und technische Angestellte, die mit dem russischen Militär im illegal beschlagnahmten Kernkraftwerk Saporischschja in der Ukraine zusammenarbeiten. Es handelt sich laut der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde um elf Personen. Die Glaubwürdigkeit der IAEA ist nach Einschätzung von Greenpeace dadurch untergraben: Die ukrainische Regierung müsse absolutes Vertrauen in die Sicherheit der vertraulichen und hochsensiblen Informationen haben, die sie mit der IAEA austausche. Aufgrund der Anwesenheit eines hochrangigen IAEA-Beamten wie Chudakow sei das nicht möglich.
Chudakow sei deshalb von seiner Funktion als stellvertretender Generaldirektor sofort zu suspendieren. Darüber hinaus verlangt die Umweltorganisation eine Offenlegung der Kommunikation zwischen Chudakow und den Rosatom-Beamten seit Kriegsbeginn sowie eine Klärung der Frage, welche Rolle er in der IAEA im Kontext der Nuklearkrise in der Ukraine gespielt habe.
Die Schweiz als Mitgliedsstaat der IAEA soll nun diese Forderungen bei deren Generaldirektor einbringen. Die Schweiz ist dort noch bis 2023 im Gouverneursrat vertreten, einem politischen Organ der Organisation, in dem nur 35 der 173 Mitgliedsstaaten vertreten sind. Entsprechend besser könne die Schweiz ihren Einfluss geltend machen, sagt Florian Kasser von Greenpeace. Die Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Luxemburgs und der Niederlande haben von der Umweltorganisation die gleichen Forderungen schriftlich mitgeteilt erhalten, die IAEA ebenso.
Sommaruga leitet Abklärungen ein
Die Aktion ist umstritten. Das Nuklear-Forum Schweiz hat «volles Vertrauen» in die IAEA, wie Präsident Hans-Ulrich Bigler sagt. «Unserer Ansicht nach macht die IAEA in Anbetracht der Umstände einen guten Job bei der Vermittlung zwischen den involvierten Parteien und der Überwachung der Sicherheit.» Auch kommuniziere sie transparent. «Wir sehen keinen offensichtlichen Grund für irgendwelche personellen Massnahmen.»
Aussenpolitiker geben sich derweil zurückhaltend, der skizzierte Fall scheint nicht oder zu wenig detailliert bekannt. Auch Ständerat Damian Müller (FDP) sagt, er könne noch nicht alles abschliessend beurteilen. Sicher sei aber, dass die gewaltsame Übernahme des Kernkraftwerks Saporischschja eine völlig neue und sehr besorgniserregende Entwicklung darstelle. Sollte Mikhail Chudakow «in diesem Zusammenhang befangen sein, wäre das ein No-go».
Wie Sommaruga auf die Forderungen von Greenpeace reagiert, ist unklar. Wie ihr Departement mitteilt, hat sie das Bundesamt für Energie «gebeten, den Sachverhalt abzuklären».
Stefan Häne ist Redaktor im Ressort Inland. Er schreibt und recherchiert zum aktuellen Politgeschehen in der Schweiz.
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