Schweiz avanciert zum globalen Akteur im Kampf gegen Terror
Die Schweiz ist daran, weltweit eine Vorreiterrolle bei der Prävention von gewalttätigem Extremismus einzunehmen.

Adrian Russell Elms war vorbestraft, Ehemann, Vater dreier Kinder und Englischlehrer. Irgendeinmal in seinem Leben konvertierte der Brite zum Islam, taufte sich in Khalid Masood um und fand Gefallen am Jihad.
Am 22. März 2017 nimmt Masoods Verständnis vom Glauben mörderische Züge an: Er fährt in London in eine Menschenmenge und sticht einen Polizisten nieder. Fünf Menschen sterben, darunter der Attentäter. Nach den jüngsten Terroranschlägen in Grossbritannien wundern sich die Europäer einmal mehr: Wie konnte es so weit kommen? Und vor allem: Hätte Masood vor seiner schrecklichen Tat abgehalten werden können?
Adam Deen wäre beinahe dem Einfluss einer islamistischen Extremistengruppe verfallen. Ihm ist es gelungen, sich abzuwenden. Quelle: Youtube
Das Genfer Center für Sicherheitspolitik (GCSP) befasst sich genau mit solchen Fragen. In mehrtägigen Kursen erhalten dort Diplomaten, Regierungsbeamte und Funktionäre von Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt Denkanstösse, wie gewalttätiger Extremismus verhindert werden werden kann (siehe Kasten «Vorbeugung versus Bekämpfung»).
Gemeint ist damit eigentlich Terrorismus. Weil sich die Vereinten Nationen aber nicht auf eine Definition für Terrorismus einigen können, hat sich der politisch korrektere Begriff gewalttätiger Extremismus durchgesetzt. Seit April 2016 gibt es innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft eine Absichtserklärung, wonach die UNO-Mitglieder mit Prävention stärker gegen gewalttätigen Extremismus vorgehen wollen.
Im Klassenzimmer mit dem US-Heimatschutz
Exklusiv hat das GCSP dieser Zeitung erlaubt, an einem Kurs zu Terrorismusverhinderung teilzunehmen. Einzige Auflage: Namen und genaue Funktionen dürfen wir nicht nennen, da auch Mitarbeiter von befreundeten Geheimdiensten unterrichten. Pro Jahr führt das Center knapp 900 solcher Lehrgänge durch.
An diesem frühlingshaften Mittwochmorgen im März geht es darum, wie der Staat gefährdete Jugendliche besser erreichen kann. Extremismusforscherin und Kursleiterin Christina Schori Liang steht vor einem grossen Touchbildschirm, auf dem sie mit Berührungen durch ihre Präsentation führt. Mit fortschreitender Dauer des multimedialen Unterrichts wird Schori Liangs Stimme eindringlicher: «Wir müssen es unbedingt schaffen, dem Narrativ der Extremisten etwas ebenso Mächtiges entgegenzusetzen. Nämlich unsere freiheitlichen Werte», sagt sie in der Kurssprache Englisch.
Anhand von auf Youtube verbreiteten Präventionsvideos zeigt sie, wie Jugendliche angesprochen werden können: emotional, sachlich oder humorvoll. Im emotionalen Film erzählt eine kanadische Mutter unter Tränen, wie sich ihr Sohn der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen hat und im vermeintlichen Feldzug für den wahren Islam ums Leben gekommen ist.
Das berührende Bezeugnis von Christianne Boudreau. Quelle: Youtube
Das Video macht schonungslos deutlich, wie der Jugendliche durch seinen Entscheid eine ganze Familie an den Rand des Abgrunds gebracht hat. Die Botschaft: Wer sich für den Jihad entscheidet, bringt damit viel Leid über seine Liebsten.
Im grossen Sitzungsraum des GCSP mit den gläsernen Fassaden verfolgen die Kursteilnehmer die Videos aufmerksam. Einige holen tief Luft, andere schweigen betreten. Anwesend sind ranghohe Mitarbeiter der Aussenministerien von Katar und Kirgistan, ebenso eine niederländische UN-Diplomatin und Führungskräfte des US-Heimatschutzministeriums.
«Ich helfe mit, für mein Land eine nationale Strategie gegen gewalttätigen Extremismus zu entwerfen», sagt eine kirgisische Teilnehmerin im Gespräch mit dieser Zeitung. «Die Kurse am GCSP am Genf helfen mir dabei.»
Bisher führten die USA die internationalen Bemühungen gegen den Terrorismus an. Staatliche Programme, finanziert durch das US-Heimatschutzministerium und das US-Aussenministerium, unterstützten Präventionsprojekte inner- und ausserhalb der Vereinigten Staaten. Der frühere US-Präsident Barack Obama überzeugte den Kongress im vergangenen Jahr davon, 10 Millionen Dollar für solche Programme allein im Inland zu sprechen.
Mit dem Amtsantritt in diesem Jahr von Obamas Nachfolger Donald Trump hat sich diese Ausgangslage verändert. Weil die Administration Trump im Washingtoner Verwaltungsenglisch gewalttätigen Extremismus durchgehend durch islamischen Extremismus ersetzen will, lehnen immer mehr Subventionsempfänger aus Protest das Geld aus der Staatskasse ab.
Einer ist Leaders Advancing & Helping Communities (LAHC). Die Organisation verzichtet auf einen finanziellen Zustupf von einer halben Million Dollar. LAHC kümmert sich im US-Bundesstaat Michigan innerhalb der amerikanisch-libanesischen Gemeinschaft unter anderem um Vorbeugung von Terrorismus.
Genf ist Sitz der weltweit ersten Antiterrorbank
Der Boykott von Hilfe aus den USA bei der Prävention von Terrorismus verhilft einem anderen Land zu unerwarteter Aufmerksamkeit: der Schweiz. Immer mehr Länder und Organisationen wenden sich an das internationale Genf. Nebst dem Center für Sicherheitspolitik macht sich dort die Schweizer Stiftung Global Community Engagement and Resilience Fund (GCERF) zunehmend einen Namen.
Beim GCERF handelt es sich um einen öffentlich-privaten Fonds, der schon als «weltweite erste Antiterrorbank» bezeichnet wurde. Dieser finanziert Projekte, die lokal die Zivilgesellschaft immuner gegen gewalttätige Radikalisierung machen sollen. Das Budget beträgt 25 Millionen Dollar. Geber sind 12 Länder, darunter die Schweiz, sowie die Europäische Union.
Das 1995 von der Eidgenossenschaft gegründete GCSP seinerseits hat es durch geschickte Vernetzung geschafft, zum bedeutenden Akteur in der Abwehr von Terrorismus zu werden. Auf Stufe Forschung ist das GCSP seit vergangenem Jahr Mitglied im Steuerungskomitee von Resolve und Mitglied des weltweiten UN-Netzwerks zur Erforschung von Gegenmassnahmen zu Terrorismus. Resolve steht für Researching Solutions to Violent Extremism. Es handelt sich um einen weltweiten Zusammenschluss von Wissenschaftlern und Organisationen, die Extremismus erforschen.
Weiter ist das GCSP der internationalen Plattform Global Solutions Exchange beigetreten. Diese soll den Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Regierungen bei der Prävention von Terrorismus fördern.
Internetplattform für die globale Präventionsarbeit
Auch 2017 weitet das GCSP seine Aktivitäten aus: Anfang Jahr hat die Organisation zusammen mit dem Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Bern eine Onlineplattform zur Prävention von gewalttätigem Extremismus lanciert. Sie soll zur virtuellen Gemeinschaft für Praktiker aus aller Welt werden, die sich im Internet austauschen können.
«Terrorismus beeinträchtigt abgesehen vom individuellen Leid die Stabilität eines Landes», sagt Daniel Frank, Leiter der Koordinationsstelle für Terrorismusbekämpfung und Chef der Sektion Menschenrechte der Direktion für Völkerrecht beim EDA. «Die Prävention von gewalttätigem Extremismus als Beitrag zur Bekämpfung von Terrorismus ist daher auch ein Teil des Schweizer Engagements, Frieden, Sicherheit, Schutz der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sowie nachhaltige Entwicklung zu schaffen und aufrecht zu erhalten.»
In diesem Monat plant das GCSP, der Antiterrorismusdenkfabrik Hedayah in Dubai und dem gemeinnützigen Forschungsinstitut Global Center on Cooperative Security in New York beizutreten.
Präventionsprojekte sind nicht unumstritten
Die Idee, gewalttätigen Extremismus dank staatlicher Präventionsprogrammen verhindern zu können, stösst nicht nur auf Zustimmung. Kritiker wie die Harvard-Rechtsprofessorin Naz Modirzadeh geben drei Punkte zu bedenken: Es fehle erstens eine schlüssige Definition von gewalttätigem Extremismus. Zweitens gebe es keine wissenschaftlichen Beweise für Ursachen und Treiber. Schliesslich sei zu befürchten, dass Ressourcen von bereits vorhandenen staatlichen Initiativen zur Vorbeugung von Terrorismus abgezogen würden.
Khalid Masood war 52 Jahre alt, als ihn die Londoner Polizei bei der Durchführung seines Anschlags erschoss und so Schlimmeres verhinderte. Sein Profil ist untypisch für jihadistische Terroristen, denn diese sind in der Regel Anfang 20. Der Westen wird daraus neue Lehren ziehen müssen: Warum radikalisieren sich auch Personen, die in der zweiten Lebenshälfte stehen?
Auf das GCSP wartet noch viel Arbeit.
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